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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume
Autoren: Thomas Jeier
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langsam zugrunde gehen. Ohne fremde Hilfe wären Sie arm dran gewesen und wahrscheinlich nach zwei Tagen verblutet. Vielleicht wollte ich Ihnen auch zeigen, was für eine gute Näherin ich bin.« Sie schenkte sich einen Becher Kaffee ein, nippte daran und verzog das Gesicht. Sie würde sich nie an dieses bittere Zeug gewöhnen. »Außerdem wollte ich sowieso in Texas bleiben.«
    »Dann hätten Sie auch nach San Antonio gehen können. Da wären Sie sicher vor den Comanchen gewesen. Warum ausgerechnet hier?« Er grinste. »Geben Sie’s zu, da steckt ein Mann dahinter. Wenn Frauen so geheimnisvoll tun, steckt fast immer ein Mann dahinter. Wie heißt denn der Glückliche?«
    Sie hatte ihm bisher nur erzählt, dass sie aus Santa Fe kam und auf dem Weg nach Osten gewesen war. »Bryan«, verriet sie ihm nach einigem Zögern. »Er heißt Bryan.« Und dann erzählte sie ihm ihre ganze Geschichte, von ihrer Flucht aus Irland bis nach Santa Fe und der Kutschenfahrt zu einem Ziel, das sie bei der Abreise noch nicht gekannt hatte, von ihrer Mutter, die während der Überfahrt gestorben war, und ihrer Schwester, die als Schauspielerin durch die Lande zog, und von Bryan, wie er verschwunden und wieder aufgetaucht war, auch dass man ihn verdächtigte, einen Polizisten angeschossen zu haben und hinter ihm her war, ließ sie nicht aus. Es tat gut, ihm die Geschichte zu erzählen, machte es ihr leichter, über ihre Probleme nachzudenken.
    »Texas?«, sagte er, nachdem er das Erzählte einigermaßen verdaut hatte, »in Texas wollt ihr euch eine neue Zukunft aufbauen?« Inzwischen redeten sie sich mit dem Vornamen an. »Und du meinst, dass er irgendwann nachkommt? Obwohl er dir einen Abschiedsbrief geschrieben hat?« Er ließ die Worte eine Weile in der Luft hängen. »Finden würde er dich hier bestimmt, auch wenn Texas ein riesengroßes Land ist. So viele junge Frauen, die allein in der Einöde leben, gibt es hier nicht. Glaubst du wirklich, dass er nach dir sucht?«
    »Bryan liebt mich«, erwiderte sie fest.
    »Das dachte ich von Caroline auch. So hieß die junge Frau, mit der ich damals in den Bergen zusammen war. Die Tochter eines Missionars, das behauptete sie jedenfalls. Ich gab ihr das Gold mit, das ich im Yellowstone gefunden hatte, und dachte, sie würde es in St. Louis auf die Bank bringen, als sie mit den Pelzhändlern nach Osten zurückkehrte, aber als ich hinkam, waren beide weg, Caroline und das ganze Gold. Ich hab sie nie mehr wiedergesehen.« Er blickte in seinen Kaffeebecher. »Und ich dachte, sie liebt mich.«
    »Bryan ist anders. Er kommt ... das weiß ich ganz genau.«
    Doch als Molly am nächsten Morgen zum Brunnen ging, um frisches Wasser zu holen, blickte sie länger als sonst zum östlichen Horizont und das täglich wiederkehrende Schauspiel der aufgehenden Sonne hatte plötzlich etwas Bedrohliches an sich. Ihre Strahlen schienen das trockene Gras entzünden und einen lodernden Feuerteppich in ihre Richtung schicken zu wollen. »Bryan«, flüsterte sie, »du darfst mich nicht im Stich lassen, Bryan! Hörst du mich?«
    Die einzige Antwort, die sie bekam, war das Krächzen eines Raben, der sich durch ihre Nähe gestört fühlte, sich protestierend aus einem Gestrüpp erhob und davonflog. Sein heftiger Flügelschlag ließ sie zusammenzucken.
    Am späten Vormittag, als sie am Herd stand und neue Brühe für den Oldtimer kochte, fiel ihr eine Staubwolke zwischen den Felsen im Süden auf. Sie wollte Buddy nicht beunruhigen und ging unter einem Vorwand nach draußen. Vor dem Haus kniff sie die Augen zusammen und beschattete sie mit einer Hand, um besser sehen zu können. Nur eine Staubfahne, die der Wind aufgewirbelt hatte, stellte sie erleichtert fest, weiter nichts. Keine Reiter, keine Indianer. Das Land lag leer und verlassen wie an jedem Tag unter der hellen Sonne. Die Staubfahne verflüchtigte sich im frischen Spätsommerwind.
    Auch der Oldtimer war nervös geworden. Als Molly ihm an diesem Abend zum ersten Mal Bohnen mit Speck servierte, hellte sich seine Miene auf, doch schon im nächsten Moment blickte er besorgt aus dem Fenster und sagte: »Es wird höchste Zeit, dass ich wieder auf die Beine komme. Hinter dem Vorhang müssten zwei Krücken liegen, die hat sich Chester mal kommen lassen, als er sich den Fuß gebrochen hatte. Mit den Krücken müsste es doch gehen ...«
    Aber auch mit den Krücken kam er nur wenige Schritte weit und Molly musste ihm ins Bett zurückhelfen. Leise fluchend legte er sich hin.
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