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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden
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Himmel ist.«
    Jo Lynns Blick hob sich kurz über den Rand des Lokalteils der Palm Beach Post . »Stell dir mal einen Pulli in dieser Farbe vor«, sagte sie träge.
    So eine Antwort hatte ich nun eigentlich nicht erwartet, aber für Jo Lynn, für die die Natur immer nur Kulisse war, war sie typisch. Ich hüllte mich wieder in Schweigen, überlegte, ob ich mir noch eine Tasse Kaffee eingießen sollte, entschied mich dagegen. Drei Tassen waren mehr als genug, auch wenn mir mein Morgenkaffee noch so sehr schmeckte – mein einziges Laster, pflegte ich immer zu sagen.
    Ich dachte an Larry, der seit acht mit ein paar möglichen Kunden draußen auf dem Golfplatz war. Er spielte erst seit kurzem wieder. Auf dem College hatte er ein bißchen gespielt, war ziemlich gut gewesen, wie er sagte, hatte es aber damals aufgegeben, weil er weder Zeit noch Geld dafür hatte. Jetzt, da er von beidem mehr als genug hatte und Kunden und Geschäftsfreunde ihn immer wieder zu einer Runde aufforderten, hatte er wieder damit angefangen, obwohl er es nicht ganz so entspannend fand, wie er es in Erinnerung hatte. Am vergangenen Abend hatte er fast eine Stunde lang vor dem Ankleidespiegel im Bad geübt, um den mühelos lockeren Schlag seiner Jugend wiederzufinden. »Ich hab’s gleich«, sagte er immer wieder, während ich im Bett auf ihn wartete und schließlich mit einem leichten Kribbeln der Frustration in den unteren Regionen einschlief.
    Als ich aufwachte, war er schon weg. Ich stand auf, schlüpfte in einen kurzen pinkfarbenen Baumwollmorgenrock, trottete in die Küche, kochte eine große Kanne Kaffee und setzte mich mit der Morgenzeitung hin, die Larry netterweise hereingebracht hatte, ehe er losgefahren war. Die Mädchen schliefen noch und würden voraussichtlich frühestens in ein paar Stunden aufstehen. Michelle
war mit ihren Freundinnen bis nach Mitternacht unterwegs gewesen. Sara hatte ich nicht einmal nach Hause kommen hören.
    Ich las gerade die Filmbesprechung und schlürfte meine zweite Tasse Kaffee, als Jo Lynn aufkreuzte. Statt einer Begrüßung teilte sie mir mit, es gehe ihr mies, zum Teil, weil sie nicht gut geschlafen hatte, vor allem aber, weil sie am Abend zuvor versetzt worden war. Der Mann, mit dem sie verabredet gewesen war, ein ehemaliger Footballspieler, der jetzt Sportartikel verkaufte und Jo Lynns Behauptung zufolge wie ein Brad Pitt mit Patina aussah, hatte in letzter Minute mit der Begründung abgesagt, daß er Hals- und Gliederschmerzen habe. Sie war daraufhin allein in eine Kneipe gegangen, und wer kam zur Tür herein, frisch und munter wie ein Fisch im Wasser? Na, den Rest kannst du dir denken, sagte sie, goß sich eine Tasse Kaffee ein und ließ sich häuslich nieder.
    Da war sie also, in weißen Shorts und gewagtem Oberteil, sah trotz der schlaflosen Nacht toll aus wie immer, die schulterlangen blonden Locken malerisch zerzaust – den »frisch-gefickt-Look« nannte sie es, obwohl nun wirklich nichts dergleichen passiert war, wie sie mißmutig sagte. Da geht’s dir nicht besser als mir, hätte ich beinahe gesagt, aber ich tat es nicht. Es war mir noch nie eingefallen, mit Jo Lynn über mein Liebesleben zu sprechen, zum einen, weil ich mich bei ihr nicht auf Diskretion verlassen konnte, zum anderen und vor allem, weil es da nicht viel zu erzählen gab. Ich lebte seit fast einem Vierteljahrhundert in einer monogamen Beziehung. Für Jo Lynn war Monogamie gleich Monotonie. Ich hatte es längst aufgegeben, ihre Auffassung ändern zu wollen. In letzter Zeit klangen meine Worte selbst in meinen Ohren ziemlich hohl.
    Jo Lynn ihrerseits war immer mehr als bereit, ja sogar begierig darauf, die Geheimnisse ihres Liebeslebens mit mir zu teilen. Plastische Details ihrer Abenteuer flossen ihr so munter von den Lippen, wie das Wasser einen Gebirgsbach hinunterplätschert. Ich versuchte immer wieder, ihr klarzumachen, daß ihr Intimleben nur sie allein etwas anging, aber das war ein Gedanke, den sie offensichtlich nicht verstand. Ich versuchte, sie daran zu erinnern,
daß Reden Silber und Schweigen Gold ist; sie sah mich an, als wäre ich nicht ganz dicht. Ich versuchte, sie vor Krankheiten zu warnen; sie runzelte finster die Stirn und sah weg. Ich erklärte ihr, mich interessiere das alles nicht sonderlich; sie lachte nur. »Natürlich interessiert es dich«, pflegte sie zu widersprechen. Und natürlich hatte sie recht. »Dann sprich wenigstens nicht vor den Mädchen darüber«, bat ich, aber natürlich ohne Erfolg. Jo
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