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Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Titel: Am Mittwoch wird der Rabbi nass
Autoren: Harry Kemelman
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Jahre nichts weiter als die Äußerlichkeiten der Religion beachtet und innerlich überhaupt nicht begriffen, um was es geht. Genau die gleiche Einstellung hat übrigens auch zu der jüngsten Entwicklung in unseren Colleges geführt.»
    «Puh! Ich hatte keine Ahnung, dass du dich so darüber aufregst.»
    Er zuckte die Achseln. «Mag sein, dass die Pferde mit mir durchgegangen sind. Wahrscheinlich deswegen, weil ich mir gedacht habe, als dieser Akiva, wenn er es wirklich ist, uns damals mitten in der Nacht die Medizin gebracht hat, dass das eine richtige mizwe war. Und ganz bestimmt eine weit frommere Tat als die Teilnahme an der heutigen Morgenandacht.»

6
    Marcus Aptaker war um halb acht in seinem Geschäft, eine gute Stunde vor der normalen Öffnungszeit, und innerhalb von Minuten waren sein Zorn und der Ärger über den Sohn verschwunden. Er kam gern besonders früh, damit er in Ruhe den Papierkram erledigen konnte, die anfallende Korrespondenz auf einer der beiden uralten Schreibmaschinen in der Rezeptur tippen, Listen mit Rechnungen vergleichen, Schecks für Lieferungen ausschreiben. Dann schlenderte er im Laden umher, rückte hier eine Packung auf dem Regal zurecht, drehte dort eine Flasche so, dass das Etikett zu sehen war. Manchmal wechselte er Waren von einem Regal zum anderen oder berührte die Gegenstände auch nur, wie ein Liebhaber seine Geliebte berührt, um sich zu vergewissern, dass sie da ist, um den Kontakt zu fühlen.
    Denn er liebte sein Geschäft. Es gab seinem Leben Würze und Abwechslung. Jeder Kunde, der hereinkam, stellte ein Problem dar, das er lösen musste. Sollte er statt des Verlangten, das er nicht auf Lager hatte, etwas anderes vorschlagen, oder würde der Kunde das für aufdringlich halten? Sollte er eine teurere Ware vorschlagen? Sollte er überhaupt eine Meinung äußern? Und dann gab es die schweren Entscheidungen: Sollte er die Zahnpaste direkt neben dem Ständer mit den Zahnbürsten auslegen, damit das eine zum anderen führte, oder sollte er sie weit voneinander entfernt aufbauen, damit der Kunde, wenn er von den Zahnbürsten zur Zahnpaste ging, an anderen Waren vorbeikam, die ihn vielleicht zum Kauf verlockten? All das waren Probleme, mit denen er den ganzen Tag hindurch eins nach dem anderen konfrontiert wurde. Und er löste sie, eins nach dem anderen, wie sie auftauchten. Es war eine Herausforderung und Befriedigung.
    Und er liebte die Waren, die er verkaufte. Obwohl er nicht rauchte, erfreute ihn der Tabaksduft, wenn er die Glastüren des Zigarrenschrankes öffnete, und das Gefühl einer Bruyère-Pfeife, wenn er sie einem Kunden über den Ladentisch hinweg reichte; die zierlichen Formen der Parfümflacons und die neue Linie der Toilettenartikel für Herren in ihrer maskulinen, soliden Verpackung; die Kameras, Transistorradios und Uhren; die bunten Pralinenschachteln, die Drehbleistifte und Kugelschreiber in ihrem Ständer; die Sonnenbrillen und die neuen Gummihandschuhe, die erst in der vergangenen Woche hereingekommen waren, der Ständer so geschickt erdacht, dass sofort, wenn man eine flache Schachtel herauszog, die nächste automatisch nachrutschte; die teuren französischen Seifen; die kleinen Scheren und Nagelzangen, allesamt in blankem Chrom; und vor allem die Spezialmedizin, die er von einer pharmazeutischen Firma unter seinem eigenen Namen anfertigen ließ.
    Auch die Menschen mochte er, die ins Geschäft kamen, aber er fand es ebenso schön, dass sich ein Tresen zwischen ihnen befand. Denn so liebenswürdig und freundlich er als guter Kaufmann auch war, sein Status als Studierter verlangte, dass er sich nicht allzu volkstümlich gab. Das war ja gerade das Schöne daran, dass er nicht einfach ein Kaufmann war wie der Lebensmittelhändler oder der Eisenhändler. Sondern er war Geschäftsmann und Akademiker in einer Person, ein Angehöriger jener Armee von Ärzten, Wissenschaftlern und Forschern, die sich mit dem Heilen und der Behandlung der Kranken befassten, und wie sie mit einem Diplom, einem akademischen Grad und der Lizenz ausgestattet, seinen Beruf mit allen dazugehörigen Pflichten und Verantwortlichkeiten auszuüben.
    Um acht Uhr vierzig erschien der erste Kunde, und Marcus Aptaker kam heraus, um ihn zu begrüßen. Seine Miene verzog sich automatisch zu dem üblichen, höflich fragenden Verkäuferlächeln.

7
    «Hast du irgendwo gegessen?», erkundigte sich Mrs. Aptaker. Denn ihr Sohn hatte nach seiner Rückkehr aus der Synagoge behauptet, er wolle kein
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