Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees
Autoren: Andrea Fazioli
Vom Netzwerk:
eine hohe Stirn, eine mächtige Kinnlade.
    Darunter eine Inschrift:
     
    LUIGI LAVIZZARI,
DEM GLÜHENDEN PATRIOTEN,
GEOLOGEN UND NATURFORSCHER,
ENTDECKER
UNBEKANNTER WAHRHEITEN,
VON SEINEN MITBÜRGERN
1900
     
    Während er verstohlen Elisa Rovelli im Auge behielt, kam Contini die Erkenntnis, dass er und der glühende Patriot im Grunde Kollegen waren. Denn ein Privatdetektiv mag zwar ein Geier sein, mit Fug und Recht aber darf er sich als »Entdecker unbekannter Wahrheiten« bezeichnen. Grinsend trat der Detektiv ein paar Schritte zurück, um das edle Antlitz des Herrn Lavizzari genauer betrachten zu können.
    »Na, Alter«, murmelte er, »wie viele Gehörnte hast du unter deinen Zeitgenossen aufgedeckt?«
    Die Statue erwiderte nichts, aber Contini meinte hinter dem Schnauzbart gelinden Tadel zu erkennen.
    Unterdessen war Elisa Rovelli nach einem Blick auf die Uhr in eine der Gassen der Altstadt eingebogen. Es war Viertel nach zehn an einem Montagmorgen im Januar, und die Straßen waren weitgehend menschenleer. Signora Rovelli und Elia Contini gingen vorbei an den Messingschildern der Anwaltskanzleien, an Bars mit verriegelten Türen, an neu eröffneten Läden, die gern Boutiquen sein wollten. Aus einer Seitengasse kam eine Alte, in einer Hand ihre Einkaufstasche, und fingerte umständlich ihren Schlüssel ins Schloss eines Haustors. Mendrisio mit seinen Lädchen, seinen Weinfesten, seinem Tratsch ist eine Kleinstadt mit dörflicher Seele. In diesen schmalen Gassen der Altstadt kam sich Contini vor, als beträte er ein fremdes Haus zu ungehöriger Stunde. Fast hatte er das Bedürfnis, auf Zehenspitzen zu schleichen.
    Elisa ging jetzt eilig vor ihm her. Als er sie die Gemäldegalerie betreten sah, wusste er, dass sein Klient sich nicht geirrt hatte: Ein Museum ist ein idealer Ort für ein Stelldichein. Bevor auch er eintrat, wartete er ein paar Minuten, dann spähte er verstohlen hinein und sah Signora Rovelli mit großem Interesse ein Gemälde von Antonio Barzaghi-Cattaneo betrachten. Neben ihr stand ein Mann. Contini fotografierte die zwei von hinten und sah sie beim Klicken der Kamera zusammenzucken. Dann trat er näher, bat um Verzeihung, fotografierte das Bild und entfernte sich.
    Mit weithin hörbaren Schritten durchquerte er den angrenzenden Saal, kehrte dann lautlos zurück und richtete von der Türschwelle aus seine Kamera auf das Paar. Es war wie im Theater.
    SIE: Bin ich jetzt erschrocken!
    ER: Das war nur ein Tourist.
    SIE: Meinst du wirklich, dass hier ein guter Ort ist? Du weißt doch, ich kann’s mir nicht leisten …
    ER: Ich weiß, ich weiß. Obwohl ich dich nicht verstehe.
    SIE: Paolo, ich habe zwei Kinder, und wenn ich meinen Mann...
    Etcetera. Sie wären fast in Streit geraten, aber Contini wusste, dass Heimlichkeit keinen ausgedehnten Krach zulässt.
    ER: Eine Woche haben wir uns nicht gesehen …
    SIE: Ach, Liebster, mir kommt es vor wie ein Jahr …
    Und Contini bekam Gelegenheit, unter Barzaghi-Cattaneos düsteren Farbtönen einen unmissverständlichen Kuss festzuhalten. Der Titel des Gemäldes lautete Extremum dedit suavium , und wie der Titel vermuten ließ, schien es die Darstellung von Leidenschaft zu sein, bis in den Tod, als einer letzten Liebesgeste. Was jedoch den Geier interessierte, war der Beweis der Untreue.
    Nach einem Dutzend Fotos ließ er es genug sein und wollte durch den Hinterausgang verschwinden. Aber in dem Moment, als er sich zum Gehen wandte, legte sich ihm eine Hand auf die Schulter.
    Der Detektiv erstarrte.
    »Nein so was! … Wenn ich nicht irre, bist du der junge Contini, oder?«
    »Ja, aber es tut mir leid - wer …«
    Contini erkannte ihn, noch bevor er die Frage beendet hatte. Die Brille war noch immer dieselbe, schwer und altmodisch, aber um die stecknadelkopfgroßen Augen hatte sich inzwischen ein Kranz von Runzeln gebildet.
    »Ewig haben wir uns nicht gesehen! Wie ich höre, bist du Polizist geworden?«
    »Mehr oder weniger. Aber gehen wir doch raus …«
    Sie verließen das Museum durch den hinteren Ausgang und betraten eine Bar in der Via Santa Maria. Ausgerechnet ihn muss ich hier treffen, dachte Contini. Don Giacomo Bernardi, der vor der Flutung des alten Dorfkerns Pfarrer von Malvaglia gewesen war - mindestens fünfzehn Jahre hatte er ihn nicht gesehen.
    »Hast du dir den Barzaghi-Cattaneo angesehen?«, fragte Don Giacomo. »Der Realismus dieses hingestreckten Körpers! Wirklich ergreifend, findest du nicht?«
    Contini ging nicht darauf ein.
    »Was
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher