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Am Fuß des träumenden Berges

Am Fuß des träumenden Berges

Titel: Am Fuß des träumenden Berges
Autoren: Julie Peters
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war. Aber trotzdem drohte diese neue Entwicklung, ihr alle Kraft zu rauben.
    «Das wird er. Und jetzt fahren wir zu Matthew.»
    Ehe sie aufstehen konnte, hielt Audrey Fanny am Arm fest. «Ich danke dir», flüsterte sie. «Du hast so viel für uns getan in all den Jahren, und ich hab das Gefühl, ich habe dir nie richtig dafür danken können.»
    «Dafür sind Freunde doch da, oder?»
    Fanny besorgte ihnen eine Laufrikscha, die sie in ein Viertel Nairobis brachte, in dem sich schlichte, zweistöckige Gebäude aneinanderreihten. Vor einem kleinen Haus blieb der Läufer stehen, und Fanny half Audrey beim Aussteigen. «Ich warte hier», versprach sie.
    Audrey ging auf das Haus zu. Sie drückte ihren Sohn an sich und küsste ihn auf das Köpfchen. Ganz ruhig, ermahnte sie sich. Du schaffst das schon.
    Sie klopfte, und eine alte, grauhaarige Frau öffnete. Sie sah müde aus, doch ihre Kleider waren sauber, und ihr Gesicht war klar und freundlich. «Guten Tag», sagte Audrey. «Sind Sie Mrs. Johansson? Ich habe gehört, mein Mann lebt bei Ihnen. Matthew Winston.» Es klang hölzern, das hörte sie selbst.
    Die alte Frau musterte Audrey von oben bis unten. Schließlich nickte sie. «Er ist oben», sagte sie und öffnete die Tür, damit Audrey eintreten konnte.
    Im Innern des Hauses bestätigte sich der erste Eindruck. Ein sauberes, einfaches Heim einer Frau, die nicht viel hatte, die aber wusste, wie man gut wirtschaftete. Mrs. Johansson zeigte ihr den Weg zu den beiden Kammern unterm Dach. «Der Mister ist da, die kleine Miss und der Junge sind für mich zum Markt gegangen.»
    Audrey schluckte. Also durfte sie Thomas nicht sehen. Aber sie wollte ja zu Matthew.
    Sie stieg die Treppe hinauf. Die Tür zu der einen Kammer stand offen – ein schmales Bett, sauber aufgeschüttelt. Vermutlich schlief hier Mary mit Thomas.
    Die andere Tür war verschlossen. Sie klopfte. Drinnen blieb es lange still. Dann hörte sie ein «Herein», und sie öffnete die Tür.
    Er stand am Fenster, den Rücken ihr zugewandt. Audrey blieb abwartend in der Tür stehen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Alle Worte, die sie sich in den letzten Tagen sorgfältig zurechtgelegt hatte, waren irgendwie verschwunden.
    Schließlich räusperte sie sich. «Matthew», sagte sie leise.
    Er drehte sich um.
    Sie wollte so gern zu ihm, zwang sich aber, stehen zu bleiben und ihn zu betrachten. Sie sah, was die Zeit aus ihm gemacht hatte. Er sah aus, als seien zehn Jahre vergangen.
    «Ich geh nicht oft aus dem Haus», sagte er.
    «Du siehst gut aus», log sie.
    «Du auch.»
    Wieder das lastende Schweigen. Ihr Sohn wachte auf und jammerte leise.
    «Ich … Unser Sohn.» Sie stand direkt vor Matthew und musste mit den Tränen kämpfen. Tapfer streckte sie ihm das Bündel entgegen. «Du hast doch gesagt, du kommst und holst ihn dir, weil ich kein Recht habe, ihn aufzuziehen.»
    Er musterte sie. Fragend, als wüsste er nicht, ob sie das ernst meinte. Dann streckte er die Arme aus, und sie überließ ihm das Kind, obwohl sie es viel lieber an sich gerissen hätte.
    «Wie heißt er?», fragte Matthew. Andächtig betrachtete er das kleine Gesicht und den schwarzen Schopf. Dieses Kind war seins, dessen konnte sie sicher sein, und sie hoffte, dass er das auch sah und endlich aufhörte, an ihr zu zweifeln.
    «Ich habe ihm noch keinen Namen gegeben», sagte sie leise. «Ich wusste nicht …» Ihr versagte die Stimme, und sie musste sich abwenden.
    «Wir nennen ihn Alfred», sagte Matthew leise. «Wenn du nichts dagegen hast.»
    Sie schluchzte auf. Der Name war perfekt. Wieso war sie nicht selbst darauf gekommen?
    Sie wandte sich zum Gehen.
    Matthew rief sie zurück. «Bleib», bat er. «Ich habe dir so viel zu sagen.»
    «Du wolltest ihn haben, und ich gebe ihn dir. Musst du mir noch mehr weh tun?»
    Matthew trat einen Schritt nach vorne und legte ihr Alfred in die Arme. «Ich will ihn nicht», erklärte er. «Nicht ohne dich.»
    Ganz vorsichtig hob er die Hand und streichelte ihre Wange. «Ich habe dich vermisst. Schon vorher. Ich habe dich vermisst und konnte es nicht in Worte kleiden. Uns beiden wurde ein Sohn genommen, und ich habe dich in deiner Trauer alleingelassen, weil ich selbst mit meiner Trauer nicht zurechtkam. Ich habe immer gedacht, alles werde so weitergehen. Alles werde einfach gut.»
    «Ich hab die Briefe von Celia gelesen», sagte sie leise. «Bitte, sei mir deshalb nicht böse. Ich wusste schon lange, dass du etwas vor mir verbirgst.»
    Einen Moment
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