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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat
Autoren: Elizabeth George
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unvollständig. Manche Dinge wusste er mit Gewissheit, andere ahnte er nur intuitiv.
    Ein großer Spiegel hing dem Tisch gegenüber, an dem er saß. Joel wusste, dass es sich um einen Einwegspiegel handelte. So etwas hatte er in Kriminalfilmen im Fernsehen gesehen. Ernahm an, dass auf der anderen Seite Menschen gekommen und gegangen waren, die ihn betrachtet und darauf gewartet hatten, dass er mit irgendeinem Zeichen seine Schuld eingestand, und er bemühte sich, dieses Zeichen nicht zu geben, wenngleich er nicht wusste, was es war.
    Er vermutete, dass die Leute ihn aus der Fassung bringen wollten, indem sie ihn so lange warten ließen. Damit hatte er nicht gerechnet, und er vertrieb sich die Zeit damit, seine Hände zu studieren. Die Handschellen waren ihm abgenommen worden, und er rieb sich die Gelenke. Auch wenn keine sichtbaren Spuren zurückgeblieben waren, konnte er den Druck und das Scheuern immer noch spüren, durch die Haut bis auf die Knochen. Man hatte ihm ein Sandwich versprochen und eine Dose Cola gebracht. Um die Dose legte er jetzt seine Hände und versuchte, an irgendetwas Schönes zu denken, nur nicht daran, wo er war und was als Nächstes passieren würde. Doch er schaffte es nicht.
    Was hatten sie schon gegen ihn in der Hand?, fragte er sich. Ein Überwachungsvideo, sonst nichts. Ein Phantombild, das ihm kein bisschen ähnlich sah.
    Und was hatten ein Video und ein Phantombild schon zu bedeuten? Dass irgendjemand, der ein bisschen wie Joel Campbell aussah, eine Straße entlanggegangen war, und das zufällig unweit der Stelle in Belgravia, wo eine weiße Dame angeschossen worden war.
    Das war's. Mehr hatten sie nicht in der Hand. Schwarz und Weiß. Alpha und Omega.
    Doch im Grunde wusste Joel es besser. Das Au-pair-Mädchen, das ihm ins Gesicht gesehen hatte. Die alte Frau, die ihren Corgi Gassi führte - gleich um die Ecke von der Stelle, wo der Schuss gefallen war. Seine Strickmütze, die er in einem der Gärten, durch die sie geflüchtet waren, hatte zurücklassen müssen. Die Pistole, die sie unterwegs verloren hatten. Sobald die Polizei die Waffe fand, was früher oder später passieren musste - falls sie sie nicht längst hatten -, würden sie die Fingerabdrücke darauf sicherstellen. Es waren nur Joels Abdrückeauf der Waffe, und das bereits von dem Moment an, da The Blade die Pistole abgewischt und ihm überreicht hatte, frisch wie ein neugeborenes und gebadetes Baby.
    Das Bild eines neugeborenen und gebadeten Babys erinnerte Joel an das Baby der Dame. Sie hatten nicht gewusst, dass sie schwanger war - wenn sie das auch nur geahnt hätten, wären sie niemals ... Niemals! Alles, was sie getan hatten, redete er sich ein, war, in dieser noblen, schicken Straße mit den noblen, schicken Häusern auf den Erstbesten zu warten, der vorbeikam. Das war alles. Joel hatte nicht gewollt, dass sie starb. Er hatte nicht gewollt, dass überhaupt geschossen wurde.
    Doch der Schuss auf diese Frau - die Ehefrau eines Scotland- Yard-Detectives, schwanger, auf dem Heimweg von einem Einkaufsbummel, jetzt im Krankenhaus und an lebenserhaltende Maschinen angeschlossen - war zum Dreh- und Angelpunkt in Joels Leben geworden. Er befand sich in einer prekären und gefährlichen Lage, konnte jeden Moment in diese oder jene Richtung abgleiten. Cal Hancock und nicht er hatte den Schuss abgegeben, und eigentlich musste er nur dessen Namen nennen. Und noch einen weiteren Namen.
    Während er im Verhörzimmer saß und wartete, dachte er darüber nach, was mit zwölfjährigen Jungen geschah, die zur falschen Zeit in der falschen Gesellschaft am denkbar schlechtesten Ort waren. Ganz sicher steckte man sie nicht ins Gefängnis. Man schickte sie weg, in irgendein Erziehungsheim für Jungen, und dort behielt man sie eine Zeit lang, bis man sie wieder nach Hause entließ. War das Verbrechen schrecklich genug, brachten die Behörden sie nach der Entlassung an einen anderen Ort und gaben ihnen eine neue Identität, damit sie die Chance auf eine Zukunft hatten - eine Option, dachte Joel, die er wählen konnte, wenn er das wollte. Er hatte ja keine Ahnung gehabt, was an jenem Tag in Belgravia passieren sollte: Auch das konnte er ihnen sagen. Er hatte an dem Nachmittag einfach mit diesem Cal Hancock rumgehangen, und sie seien zur U-Bahn gegangen und mit der Circle Line gefahren, bis sie irgendwo ausgestiegen waren, wo es schien, sie könnten ...
    Was?, überlegte er. Jemanden überfallen, war der nahe liegende Schluss, und Joel wusste,
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