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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat
Autoren: Elizabeth George
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wollte, nur knapp an vorletzter Stelle vor der Sorge um Toby.
    Eine fürsorglich veranlagte Frau hätte an diesem Punkt begonnen, den beiden bedauernswerten Kindern, die an ihrer Türschwelle gestrandet waren, eine anständige Mahlzeit zu bereiten, wenn nicht gar ihr Leben neu zu organisieren. Sie wäre die Treppe ein zweites Mal hinaufgestiegen, um ihnen in einem der zwei Schlafzimmer eine Bettstatt zu bereiten. Das notwendige Mobiliar dafür war zwar nicht vorhanden, schon gar nicht in dem Zimmer, das Genera für die Massagen eingerichtet hatte, aber sie besaß doch ausreichend Bettzeug, das man am Boden ausbreiten konnte, und Handtücher, die sich zu Kissen zusammenrollen ließen. Und dann hätte die Suche nach Ness begonnen. Aber all das lag Genera vollkommen fern, also ging sie zu ihrer Tasche und holte eine Schachtel Benson & Hedges heraus. Sie zündete sich eine Zigarette am Gasherd an und überlegte, was nun zu tun war. Das Klingeln des Telefons erlöste sie.
    Ihr erster Gedanke war, dass Glory überraschend Gewissensbisse bekommen hatte und anrief, um ihr zu sagen, sie habe sich die Sache mit George Gilbert, Jamaika und den Kindern, für die sie sorgen musste, noch einmal anders überlegt. Doch die Anruferin war Kendras beste Freundin Cordie, und sobald Genera deren Stimme hörte, fiel ihr ein, dass sie heute Abend verabredet waren, um miteinander auszugehen. In einem Club namens »No Sorrow« wollten sie trinken, rauchen, reden, Musik hören und tanzen - allein, zusammen oder mit einem Partner. Sie wollten Männer aufreißen, um sich zu beweisen, dass sie noch anziehend waren, und falls Genera beschloss, mit ihrer Eroberung ins Bett zu gehen, würde sie Cordie, die glücklich verheiratet war, am nächsten Tag per Handy in einer detaillierten Nacherzählung an ihren Freuden teilhaben lassen. So machten sie es immer, wenn sie zusammen ausgingen.
    »Na, schon die Tanzschuhe an?«, fragte Cordie. Es sollte der Prolog zu Kendras neuem Leben werden.
    Genera verspürte nicht nur das körperliche Verlangen nach einem Mann, sondern sie hatte dieses Verlangen auch schon seit einer ganzen Woche in sich getragen und lediglich mit der Schufterei im Laden und ihrer Massageausbildung überspielt. Bei dem Wort »Tanzschuhe« flammte das Gefühl wieder auf und wurde so intensiv, dass sie erkannte: Sie konnte sich nicht einmal mehr erinnern, wann sie zum letzten Mal für einen Mann die Beine breit gemacht hatte.
    Also überlegte sie fieberhaft. Wohin mit den Jungen, damit sie rechtzeitig ins No Sorrow kam, solange dort die Auswahl noch gut war? Im Geiste ging sie den Inhalt ihres Kühlschranks und ihre Vorräte durch. Es musste doch irgendetwas geben, was sie schnell zusammenbrutzeln und ihnen vorsetzen konnte. Angesichts der fortgeschrittenen Stunde hatten sie wahrscheinlich Hunger. Außerdem musste sie das Massagezimmer herrichten, damit sie heute Nacht dort schlafen konnten. Sie würde Handtücher und Laken ausgeben und ihnen das Bad zeigen, und dann ab ins Bett mit ihnen. All das musste doch rechtzeitig zu bewerkstelligen sein, um immer noch um halb zehn mit Cordie im No Sorrow sein zu können.
    Genera antwortete auf die schnoddrige Art, die sie immer wählte, wenn sie mit ihrer Freundin sprach: »Polier sie grad. Wenn ich sie auf Hochglanz krieg, lass ich das Höschen weg, kannste mir glauben.«
    Cordie lachte. »Du bis' doch echt 'ne Schlampe. Wie viel Uhr?«
    Genera sah zu Joel. Er und Toby standen noch immer nebenden Koffern, der Reißverschluss an Tobys Jeans nur halb geschlossen, und beide Jungen trugen noch ihre Winterjacken, zugeknöpft bis obenhin. »Wann geht ihr normalerweise schlafen?«, fragte sie Joel.
    Joel überlegte. Es gab eigentlich keine feste Schlafenszeit. In ihrem Leben hatte es über die Jahre so viele Veränderungen gegeben, dass niemand auch nur daran gedacht hätte, so etwas wie feste Zeitpläne einzuführen. Er versuchte zu erahnen, welche Antwort seine Tante wohl von ihm erhoffte. Offenbar war jemand am anderen Ende der Leitung, der auf eine gute Nachricht wartete, und die gute Nachricht schien vorauszusetzen, dass er und Toby frühestmöglich zu Bett gingen. Er blickte zu der Wanduhr über der Spüle. Es war Viertel nach sieben.
    Seine Antwort war ebenso willkürlich wie unwahr: »So um halb neun, Tante Ken. Aber wir könnten auch jetzt geh'n, oder, Tobe?«
    Toby stimmte anderen Menschen grundsätzlich immer zu, es sei denn, es ging um die Wahl des Fernsehprogramms. Er nickte
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