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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters
Autoren: Robert Silverberg
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einen rosenroten Felsblock gelehnt und betupfte sich ab und zu eine Schnittwunde an der Stirn. Seine Augen waren ganz glasig vor Übermüdung. Er hatte gekämpft wie ein Dämon, ja, das hatte der Haniman. Hresh hätte nicht geglaubt, daß in ihm dermaßen viel Ausdauer stecken könnte. Etwas weiter weg lag Orbin und schlief tief und fest. Mit einer Hand hielt er ein abgesäbeltes Hjjk-Bein fest, eine scheußliche Trophäe. Auch Konya schlief. Und Staip. Es war ein Tag voll schrecklichen Kampfes und voller Widersprüchlichkeiten gewesen.
    Hresh wandte sich an Salaman. Der stille Krieger, den er in alten Zeiten kaum gekannt hatte, wirkte nun ganz verwandelt, rundum gewachsen: ein Mann voller Kraft und Kundigkeit und Können, ein Gigant.
    »Wirst du nun König sein?« fragte Hresh ihn. »Oder dir sonst einen anderen Titel zulegen?«
    »König, das will ich sein«, sagte Salaman ruhig. »Über ein Volk, das sich an den Fingern zweier Hände abzählen läßt. Doch ich denke, ich werde König sein. Er klingt gut, der Name ‚König’. Wir halten etwas von Königen in dieser Stadt und achten sie. Und wir werden die Stadt umbenennen – werden sie ‚Harruel’ nennen, zu seinen Ehren, der König war vor mir, obgleich ich hoffen möchte, daß Yissou auch weiterhin ihr Beschützer bleiben wird.«
    »Harruel ist der einzige Gefallene?« fragte Hresh.
    »Der einzige. Er stürzte sich unter die Hjjks, wo das Getümmel am dichtesten war, und schlug sie, als zerquetschte er Fliegen, bis es auf einmal zu viele für ihn wurden. Wir konnten nicht rechtzeitig zu ihm vorstoßen, um ihm zu Hilfe zu kommen. Aber er starb als Held!«
    »Er wollte sterben«, sagte Minbain.
    Hresh wandte sich seiner Mutter zu. »Das glaubst du?«
    »Die Götter gönnten ihm keinen Frieden mehr. Er lebte in beständiger Pein.«
    »Aber in seiner letzten Stunde strahlte er«, sagte Salaman. »Ich habe sein Gesicht gesehen. Es ging ein Leuchten von ihm aus. Was immer an Schmerz ihn gequält haben mochte, es war von ihm genommen in seinem letzten Augenblick.«
    »Mueri mache es seiner Seele leicht«, murmelte Hresh.
    Salaman zeigte auf die Stadt. »Werdet ihr eine Weile bei uns bleiben?«
    »Ich glaube, nein«, antwortete Hresh. »Wir wollen heute abend mit euch ein Fest feiern. Doch danach wollen wir weiterwandern. Hier ist eure Stadt und Stätte. Wir dürfen euch hier nicht lange zur Last fallen. Taniane führt uns gen Süden, und wir werden uns dort einen eigenen Platz suchen, bis wir wissen, wohin die Götter uns als nächstes bringen wollen.«
    »Also ist Taniane euer Häuptling«, sagte Salaman erstaunt. »Nun, das war ja wohl immer ihr Traum. Wie ist Koshmar gestorben?«
    »Sie starb an ihrer Trauer, glaube ich. Und an Überdruß. Aber sie starb auch, weil sie erkannt hatte, daß ihre Aufgabe erfüllt war. Koshmar lebte als eine Edelin, und sie starb als eine Edle. Sie führte uns aus dem Kokon nach Vengiboneeza, und sie sandte uns von dort weiter zu unserem neuen Ziel, wie die Götter es ihr bestimmt hatten. Sie war ihnen eine getreue Dienerin. Ihnen und dem Volk.«
    »Und Torlyri? Ist etwa auch sie tot?«
    »Die Götter mögen es verhüten!« sagte Hresh. »Sie blieb aus freien Stücken zurück, um unter den Beng zu leben. Sie ist nun eine Beng, sagte sie. Als ich sie zuletzt sah, hatte sie einen Helm auf, kannst du dir so was vorstellen? Die Liebe hat sie völlig verändert.« Er lachte. »Ich glaube, sie wird sogar noch rote Augen bekommen – wie die Beng.«
    Minbain trat nahe an ihn heran. »Und du, Hresh – was wirst du tun? Wenn du tun wolltest, was mir Freude macht, dann bleibst auch du zurück. Lebe hier unter uns. Willst du das tun? Hier ist ein guter Ort.«
    »Und meinen Stamm im Stich lassen, Mutter?«
    »Nein. Ihr allesamt sollt bleiben! Das Volk soll wiedervereint sein!«
    Hresh schüttelte den Kopf. »Nein, Mutter. Die Stämme dürfen nicht wieder zusammengefügt werden. Ihr alle seid nun Harruels Volk und habt euer eigenes Schicksal. Was dies sein wird, vermag ich nicht zu sagen. Ich aber werde Taniane folgen, und wir werden gen Süden ziehen. Auf uns warten große Aufgaben. Die ganze Welt wartet dort auf uns, damit wir sie entdecken und erobern. Und außerdem gibt es noch sehr vieles, was ich erlernen will.«
    »Ach, mein Hresh-voller-Fragen!«
    »Immer, Mutter. Und immer dein.«
    »Aber dann werde ich dich niemals mehr wiedersehen?«
    »Wir haben doch schon einmal geglaubt, wir hätten uns für immer getrennt, und siehe, hier stehen
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