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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht
Autoren: Marcia Muller
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hatte gerade seinen Partner ausgekauft und mußte seine ganze Energie
in die Baumfarm stecken, und außerdem ist er sowieso nicht sonderlich gut in
solchen Sachen wie Streichen und Zimmern. Ich schon, also hat er mir freie Hand
gelassen.«
    Wie stiegen aus und gingen zu den
breiten Eingangsstufen hinüber. »Okay«, sagte ich, »Sie haben also Zach mit
raufgenommen...«
    »Während John im Diner zu Mittag
gegessen hat. Von da an hat er sich öfters auf dem Flugplatz rumgetrieben. Er
hat behauptet, wegen der Seven Niner-Burger — eins der wenigen Dinge, die wir
gemeinsam haben, ist die Leidenschaft für gute Burger. Aber ich wußte, in
Wahrheit war es meinetwegen.«
    »Und er hat Ihnen den ganzen Herbst und
über die Weihnachtstage den Hof gemacht, bis Sie dann schließlich nach Neujahr
zu ihm gezogen sind?«
    Matty fummelte mit ihren Schlüsseln
herum und steckte einen ins Schloß. »Den Hof gemacht! Das ist ein blanker...
wie nennt man das noch mal?«
    »Euphemismus?«
    »Genau. Er war hinter mir her, mit dem
ganzen Zartgefühl eines brünftigen Elchbullen. Wir hatten eine verflixt schöne
Zeit zusammen, und ich befand, daß es ziemlich blöd von mir wäre, ihn mir durch
die Lappen gehen zu lassen, zumal zu Beginn eines kalten, nassen Winters.«
    Der Flur, in den sie mich führte, war
schmal und im unteren Teil holzgetäfelt. Die Hartholzdielen glänzten, und an
der frisch geweißten Wand über der Täfelung hingen lauter vergrößerte Farbfotos.
Ich blieb stehen, um eins zu betrachten, das Matty im Cockpit eines schlanken
gelben Eindeckers mit einem roten Strahlenmuster auf den tief angesetzten
Tragflächen zeigte. Die Haube war offen, und sie schaute mit einem breiten
Grinsen direkt in die Kamera.
    »Das ist aber nicht die Maschine, die
Sie sonst immer geflogen haben«, sagte ich.
    »Nein, die ist neu, von letztem Jahr.
Eine Stirling Silver Star 360, Spezialanfertigung. Von Stirling Aviation in
Arkansas. Das ist einer der besten Flugzeugbauer. Die Firma war vor ein paar
Jahren in ziemlichen Schwierigkeiten, steht jetzt aber wieder prima da. Diese
Maschine ist eine der besten überhaupt. Extrem geringer Luftwiderstand,
traumhaft für Aufwärtsschrauben, die die Kampfrichter so beeindrucken. Sie kann
wirklich so ziemlich alles.« Sie berührte den Bilderrahmen leicht, um ihn
geradezurücken.
    »Was sagt John zu Ihrer
Kunstfliegerei?«
    »Er spornt mich an.«
    »Man könnte meinen, ein Mann, der das
Fliegen haßt, würde Angst um Sie haben.«
    Sie sagte achselzuckend: »Er hat
Vertrauen in mein Können und nicht viel Phantasie, wenn es darum geht, sich
auszumalen, was alles passieren könnte. Die habe ich im übrigen auch nicht. Das
kann man sich gar nicht leisten, weil man sich sonst nicht mehr ins Cockpit
traut.«
    Genau das war der Grund, weshalb ich
nie sonderlich gut im Kunstfliegen war; meine Phantasie war mir immer ein paar
Schritte voraus und stellte mir oft genug ein Bein.
    »Hey«, sagte sie. »Ich weiß, was Sie
jetzt denken. Klar, ein Risiko ist immer dabei. Aber das ganze Leben ist ein
Risiko. Meine Mutter war ein sehr ängstlicher Mensch. Als ich klein war, hieß
es ständig: ›Das darfst du nicht tun. Wenn dir was passiert!‹ Ich habe mir das
immer angehört und gedacht: O Mann, und wenn in meinem Leben überhaupt nichts
passiert? Für mich heißt leben, Risiken einzugehen, ihnen ins Gesicht zu sehen.
Sonst kann man sich gleich unter eine Glasglocke setzen und warten, daß man
stirbt.«
    Ich nickte, weil das im großen und
ganzen auch meine Lebensphilosophie war. Dann ging ich weiter den Flur entlang
und betrachtete die übrigen Fotos, bis ich zu einem DIN-A4-Abzug kam, der
Matty, einen großgewachsenen Mann, und einen halbwüchsigen Jungen zeigte.
    »Sind das John und Zach?«
    »Ja.« Sie sah auf das Foto, und ihr
Mund wurde schmal. Wortlos zwängte sie sich an mir vorbei und ging nach hinten
durch. Ich blieb stehen und musterte den verschwundenen Mann und seinen Sohn
genauer.
    John Seabrook war kräftig, wie ein
Quarterback, mit ausgeprägten Muskeln, aber ohne ein Gramm Fett. Das relativ
lange, braune Haar fiel ihm dick in die hohe Stirn, und er hatte die
sonnengebräunte, wettergegerbte Haut eines Menschen, der den größten Teil
seines Lebens im Freien verbracht hat. Zach war vom Körperbau her ein ähnlicher
Typus, hatte aber blondes Haar und auffallend blaue Augen. Doch im Gesicht war
die Ähnlichkeit unverkennbar: beide hatten das gleiche eckige Kinn, die
gleichen vorstehenden Wangenknochen,
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