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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht
Autoren: Marcia Muller
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zwei Dollars gebracht hätte, ein Clinton-Gore-Wahlkampfbutton,
der mir noch etwas verriet, was er und Matty nicht gemeinsam hatten, ein
flachschaliger Seeigel und ein Sektkorken. Und in einem blauen Samtkästchen
fand ich den Ehering eines Mannes.
    Ich nahm den Ring heraus und hielt ihn
ins Licht. Er war glatt und schlicht, aber zerkratzt und ohne Gravur auf der
Innenseite. Ich sah Matty an und zog fragend die Augenbrauen hoch. Sie wandte
sich achselzuckend ab und begann, die zerknitterten Bettlaken glattzuziehen.
    Ich hielt den Ring in der hohlen Hand,
schloß die Finger darum. Wie albern zu glauben, Form und Gewicht könnten mir
etwas mitteilen, und doch...
    Als Matty mir erzählt hatte, daß John
sich weigere, mit Zach über dessen Mutter zu sprechen, hatte ich ihm
automatisch irgendeine Art von Verbitterung unterstellt, vielleicht wegen einer
häßlichen Scheidungsgeschichte oder weil sie ihn verlassen hatte. Doch dieser
Ring — nicht einfach achtlos in die Schublade gefeuert, sondern in seinem
Kästchen zwischen anderen Andenken an offenbar glückliche Tage aufbewahrt —
zeugte von Liebe und Anhänglichkeit. Das wußte ich, weil Hy auch einen Ehering
in seiner Kommodenschublade hatte. Vor zwei Jahren hatte er ihn mir gezeigt,
weil er ein originelles Stück war, das ein befreundeter Künstler eigens für ihn
entworfen hatte, und sein Gesichtsausdruck dabei hatte mich beunruhigt, weil er
verriet, wie sehr Hy seine verstorbene Frau Julie Spaulding noch immer liebte
und vermißte.
    Ich legte John Seabrooks Ring wieder
zurück und sagte, an Mattys Rücken gerichtet: »Gibt es sonst noch irgendeinen
Platz im Haus, wo er persönliche Dinge oder Papiere aufbewahrt?«
    »Eigentlich nicht. In der
Nachttischschublade und unten liegen noch ein paar Bücher — hauptsächlich
Outdoor-Abenteuergeschichten und Thriller. Ich habe sie durchgeblättert, um zu
gucken, ob irgendwo was drinsteckt. Seine Papiere sind drüben im Verkaufsbüro.«
    »Wo ist das?«
    »Ein Stück die Straße runter. Auf einem
Pfad durch die Bäume kommt man in fünf Minuten hin. Wollen Sie einen kleinen
Spaziergang machen?«
    »Ja. Ich brauche noch ein paar
Einzelheiten, damit ich loslegen kann, unter anderem seine
Sozialversicherungsnummer.«
     
    Als Matty und ich dem ausgetretenen
Pfad durch die Douglastannen folgten, war der weihnachtliche Duft geradezu
überwältigend. Er erinnerte mich an meine Geschenke-Einkaufsliste und an Hys
und meine Pläne für Heiligabend. Nein — »Pläne« war das falsche Wort. Pläne
sind etwas, was man sich selbst ausdenkt und worauf man sich einigt und in den
meisten Fällen auch freut. Dieses Arrangement hingegen war über mich
hereingebrochen wie eine Flutwelle, und überrumpelt, wie ich war, hatte ich
mich mitreißen lassen. Jetzt freute ich mich etwa so sehr darauf wie aufs
Ertrinken.
    Heiligabend sollten Hy und ich, bewehrt
mit jeder Menge Geschenken und froher Festtagslaune, in dem Haus in Seacliffe
eintrudeln, das meine Freundin und Mitarbeiterin Rae Kelleher mit meinem
Ex-Schwager Ricky Savage teilte. Hätte mir vor einem Jahr jemand ein solches
Szenario ausgemalt, hätte ich den Betreffenden glatt für verrückt erklärt. Doch
seit letztem Juli waren Rae und Ricky — der, wenn man den Charts glauben
durfte, derzeit beliebteste Country-Sänger der Staaten — ein Paar. Und meine
Schwester Charlene lebte mit ihrem neuen Mann, dem internationalen
Finanzexperten Vic Christiansen, in Bel Air.
    Was alles zusammen sechs verwirrte und
enttäuschte Savage-Sprößlinge hinterlassen hatte.
    Mick, mein Computercrack, kam am besten
mit der Trennung und den neuen Konstellationen klar. Aber das war auch zu
erwarten gewesen — er war neunzehn, absorbiert von seiner Arbeit, seiner Beziehung
zu einer älteren Frau und dem Bemühen, den Mann von Welt zu spielen. Trotzdem
war sein Verhältnis zu Rae etwas gespannt, und er war kürzlich aus ihrem
gemeinsamen Büro ausgezogen und hatte seine Zelte in einem Raum aufgeschlagen,
der bis dahin Lagerzwecken gedient hatte.
    Micks achtzehnjährige Schwester Chris
studierte im ersten Semester an der Universität Berkeley und hatte
festgestellt, daß ihr die Ereignisse des letzten Sommers, die von den
Klatschspalten und der Boulevardpresse ausgiebig dokumentiert worden waren, in
ihrem neuen Freundeskreis einen gewissen Bonus verschafften. Sie kam oft,
irgendwelche Kommilitonen im Schlepp, in das Haus in Seacliffe und sonnte sich
sichtlich im Abglanz der Prominenz. Doch sie rief immer
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