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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht
Autoren: Marcia Muller
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die gleiche leicht gekrümmte Nase. Ganz
offenkundig Vater und Sohn.
    Schließlich folgte ich Matty und fand
sie in einer altmodischen Küche, wo sie die Post durchsah, die sie aus dem
Briefkasten am Straßenrand genommen hatte. Sie sah mich das wellige grüne
Linoleum und die vielfach überlackierten Küchenschränke mustern. »Hier drin war
nicht mehr viel zu machen«, sagte sie. »Müßte alles von Grund auf erneuert
werden, und das können wir uns nicht leisten.«
    »Das kenne ich. Sie hätten mal meine
Küche sehen sollen, bevor ich die Kohle zusammengekratzt hatte, sie neu machen
zu lassen.«
    »Kohle — immer das gleiche Problem.«
Sie verzog das Gesicht und legte die Post weg. »Alle denken immer, Fluglehrer
machen einen Haufen Geld, und das wäre auch so, würden wir vierzig Stunden die
Woche arbeiten, rund ums Jahr, was nicht der Fall ist. Und mit der
Kunstfliegerei ist es noch schlimmer: Bei den Wettkämpfen gibt es kein
Preisgeld, und bei einer Flugschau habe ich noch nie mehr als sechstausend
Dollar verdient. Wenn mein Sponsor nicht wäre, hätte ich längst einpacken
können.«
    »Aber die Baumfarm — Sie sagten doch,
die wirft Profit ab?«
    »Jetzt schon. John hat vor drei Jahren
auch noch eine Baumschule für Zierkoniferen aufgemacht, das ist nicht so ein
Saisongeschäft. Irgendwann wollen wir das ganze Haus renovieren lassen. Wobei
mir ganz egal ist, wie es hier aussieht, wenn John nur heil wieder zurückkommt.
Wichtig ist mir nur, daß wir eine Familie sind — das, was ich mir immer
gewünscht habe.«
    »Ach, tatsächlich? Ich hätte nicht
gedacht, daß in Ihren Plänen Raum für ein Familienleben gewesen wäre.«
    »Na ja, vielleicht nicht für ein
traditionelles Familienleben. Das habe ich weiß Gott nie gehabt. In meinem
Elternhaus hat das Familienleben aus verschiedenen Gründen nicht geklappt. Und
in meiner Ehe hat es ebenfalls nicht geklappt, wenn auch aus anderen Gründen.
Und als die Ehe platzte, hatte ich nur noch die Fliegerei, was mehr ist, als
die meisten Leute haben, aber trotzdem nicht genug. Und jetzt habe ich Angst...
ach, verdammt, McCone, das brauchen Sie sich nicht anzuhören. Möchten Sie sich
jetzt mal Johns Sachen ansehen?«
    Eigentlich hätte ich gewollt, daß sie
noch mehr von sich erzählte. Ich hatte gar nichts von dieser Ehe oder von ihrer
kaputten Herkunftsfamilie gewußt. Aber die Zeit verging, und ich mußte um
sieben bei einer Dinner Party in San Francisco sein, weshalb ich nickte und ihr
nach oben in das Schlafzimmer folgte, das sie mit John Seabrook teilte.
    Im Gegensatz zu den meisten
Privatdetektiven — meine Angestellten Rae Kelleher und Charlotte Keim
eingeschlossen — fühle ich mich nicht wohl dabei, in anderer Leute
Privatbereich einzudringen. Das beraubt den betreffenden Menschen, der nicht
dabei ist und sich nicht wehren kann, der Fassade, die er nach außen hin
errichtet hat, und legt seine Intimsphäre bloß. Ich fühlte mich dabei moralisch
nur eine Stufe über dem Voyeur. Doch die Besitztümer eines Menschen und die
Art, wie er damit umgeht, können wertvolle Informationen liefern, und mit den
Jahren war ich eine Expertin darin geworden, andere anhand der Dinge zu
entschlüsseln, mit denen sie sich umgaben.
    Zum Beispiel John Seabrooks Kleidung:
Sie sagte mir, daß er wirklich der Freiluftmensch war, als der er auf dem Foto
wirkte. Wollhemden, T-Shirts, Jeans, Cordhosen, Daunenwesten und -jacken — aber
weit und breit kein Anzug und keine Krawatte. Er war ein ordentlicher Mensch,
der seine Sachen systematisch wegräumte, also war sein Denken vermutlich
ebenfalls geordnet. Als ich Matty fragte, was er mitgenommen habe, konnte sie
es mir genau auflisten: eine blaue Daunenjacke, zwei Garnituren seiner wärmsten
Sachen, Thermounterwäsche, eine Strickmütze, Handschuhe und Trekkingstiefel.
    Die Kommodenschubladen enthielten
säuberlich gestapelt die üblichen Dinge, bis auf die unterste: Sie gehörte
Erinnerungsstücken und jener Sorte Dingen, die wir alle aufheben, weil sie uns
irgendwann mal geschenkt wurden und wir nicht wissen, was sonst damit machen.
Seabrooks Kollektion umfaßte unter anderem eine ungeöffnete Flasche Old Spiee,
zwei Garnituren monogrammbestickter Taschentücher, ein Paar silberne
Manschettenknöpfe, ein Schuhputzset, ein Maniküreetui und einen vergoldeten
Glückskeks — alles originalverpackt. Sentimentalen Wert besaßen für ihn
offenbar auch drei Silberdollars, ein kalifornisches Rubbellos, das ihm, hätte
er es eingelöst,
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