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Am Dienstag sah der Rabbi rot

Am Dienstag sah der Rabbi rot

Titel: Am Dienstag sah der Rabbi rot
Autoren: Harry Kemelman
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gluckste nervös.
    «Drei Fuß? Ja, das dürfte hinkommen.» Das Gesicht des Rabbi hellte sich auf. «Dann kann ich Ihnen vielleicht sogar einen Beweis liefern, Sergeant.» Er stand auf, stellte sich in etwa drei Fuß Abstand vor die Wand, streckte den rechten Arm aus und stützte sich mit der Handfläche an die Wand. Dann zog er einen Bleistift aus der Brusttasche und tippte mit ihm gegen die Wand. «So hoch oben dürfte der Abdruck wahrscheinlich noch vorhanden sein.»
     
    Sie blickte von ihrem Strickzeug auf, als die drei Männer das Büro betraten. «Sie erinnern sich an mich, ma’am ?», fragte Schroeder höflich.
    «Natürlich. Sie sind von der Polizei.»
    «Und dies ist Mr. Bradford Ames, der Assistant District Attorney. Er leitet die Untersuchung.»
    «Guten Tag, Mr. Ames. Und wer ist dieser Herr?»
    «Er ist unser Fingerabdruckfachmann, Miss Hanbury», sagte Ames. «In Ordnung, Bill.»
    Der Mann betrachtete die Wand. «Ich brauche was, worauf ich mich stellen kann», sagte er.
    «Klettern Sie doch einfach auf den Schreibtisch», schlug Ames vor.
    Sie sah interessiert zu, wie Bill auf den Schreibtisch stieg und die Wand absuchte. «Ja, da ist es», sagte er. «Abdruck einer ganzen Handfläche und aller fünf Finger. Ganz ausgezeichnet.»
    Sie beugte sich lächelnd über ihre Strickerei. «Dann wissen Sie es also.»
    «Ja, Miss Hanbury, wir wissen es.»
    52
    Einige Zeit danach kam Ames zum Rabbi in das Apartment.
    «Ich könnte eine Tasse Kaffee vertragen», sagte er. «Ich glaube, in der Küche war ein Glas Pulverkaffee.»
    Mit der Praxis eines geübten Junggesellen machte er sich in der Küche zu schaffen, kochte Wasser, spülte Tassen aus und deckte den Tisch.
    Sie saßen beide am Küchentisch, die dampfenden Tassen vor sich, ehe Ames zu sprechen begann. «Trotz des talmudischen Boheis müssen Sie eine Idee gehabt haben, wohin Sie zielten. Und, bitte, ersparen Sie mir den Schmus, dass mein braver Sergeant Sie als Erster auf Dean Hanbury gebracht hatte. Was war es wirklich?»
    Der Rabbi setzte die Tasse ab. «Vom ersten Tag des Kennenlernens an hab ich mir Gedanken über Millicent Hanbury gemacht. Vermutlich liegt es an unserer generellen Art, die Dinge zu betrachten: am biblischen Gebot fruchtbar zu sein und sich zu mehren. Für uns ist die unverheiratete Frau, die alte Jungfer, eine tragische Gestalt, weil sie nicht die Gelegenheit gehabt hat, ihren normalen Lebenszyklus zu vollenden. Im Städtl , den kleinen Ghettostädten in Russland und Polen wo jedes Mädchen eine Mitgift in die Ehe bringen musste, wurde den armen Mädchen oder Waisen eine Mitgift von der Gemeinde gestellt, damit sie nicht zu einem Leben als alte Jungfer verurteilt würden. Selbst wenn das Mädchen hässlich war, brachten sie sie irgendwie an den Mann. Im Städtl gab es keine alten Jungfern.»
    «Und was war mit den Junggesellen?»
    «Die gab es gelegentlich.» Der Rabbi lächelte. «Sie galten weniger als tragische Gestalten denn als Leute, die ihre Pflicht nicht erfüllten, den Anforderungen nicht gerecht wurden.»
    «So, Sie auch?» Als Antwort auf den fragenden Blick des Rabbi erklärte er: «Das hab ich fast mein Leben lang von meiner Familie zu hören bekommen – ich würde den Anforderungen nicht gerecht, ich erfüllte meine Pflicht nicht. Aber nicht, weil ich nicht geheiratet habe, sondern weil ich als Anwalt kein großes Tier geworden bin. Ich mache nichts aus meinen Möglichkeiten, heißt es meistens.»
    Der Rabbi lachte leise. «Ach, in unserer modernen Zeit, in der man aus romantischer Liebe heiratet, ist es mehr oder minder eine Glücksfrage, ob man heiratet oder nicht. Aber ich wage zu behaupten, dass Sie im alten System der arrangierten Eheschließung kein Junggeselle geblieben wären, und Miss Hanbury wäre bestimmt auch nicht ledig geblieben. Sie ist viel zu hübsch. Darum hab ich mir auch Gedanken gemacht, warum sie nicht geheiratet hat. War es der akademischen Laufbahn wegen?» Er verstummte, als wäre ihm ein plötzlicher Gedanke gekommen. «Wissen Sie, wenn Sie geheiratet hätten, wäre es ohne weiteres möglich gewesen, dass Ihre Frau für Ihre Karriere als großer Anwalt gesorgt hätte.»
    Ames lachte vor sich hin. «Dann ist es eigentlich gut, dass es bei uns keine arrangierten Heiraten gibt.»
    Der Rabbi grinste mitfühlend. «Na ja, kurz darauf hab ich zufällig Chef Lanigan getroffen, und er hat mir von Millicent Hanbury erzählt. Sie ist eine Hanbury, und Hanburys verkehren nicht mit jedem. Da sie aber
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