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Am Dienstag sah der Rabbi rot

Am Dienstag sah der Rabbi rot

Titel: Am Dienstag sah der Rabbi rot
Autoren: Harry Kemelman
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haben. Wir müssen auf wen – Elias? – warten, damit er das Problem für uns löst.»
    «Die Talmudisten griffen erst dann darauf zurück, wenn sie jede andere Möglichkeit ausgeschöpft hatten», sagte der Rabbi vorwurfsvoll.
    «Nachdem ich mit Ihnen darüber gesprochen hatte, hab ich mich über das Thema informiert, Rabbi. Aus reiner Neugier. Aber laut dem Absatz im Lexikon ist Ihr Talmud nur eine Sammlung von Geschichten, Altweibergewäsch und Moralpredigten. Und sogar der Teil, der sich mit den Gesetzen befasst, so heißt es, war größtenteils nur ein uferloses, unsystematisches Gerede über manchmal ganz unwahrscheinliche Fälle.»
    «Der Talmud enthält von allem ein bisschen», gestand ihm der Rabbi zu, «aber seine nützlichste Funktion ist die in ihm entwickelte Methode.» Die Techniker waren nun fertig und hatten zusammengepackt. Schroeder fragte Ames, ob er ihn ins Stadtzentrum mitnehmen könne.
    «Noch einen Augenblick, Sergeant. Der Rabbi gibt mir gerade Unterricht im Talmud.» Er lachte leise. «Und was ist das für eine Methode, Rabbi?»
    «Im Grunde geht es darum», sagte der Rabbi ganz ernst, «jeden Aspekt eines Problems von jedem möglichen Blickpunkt aus zu betrachten. Vermutlich meint das Ihr Lexikon, wenn es andeutet, einige der Fälle wären höchst unwahrscheinlich. Diese alten Talmudisten hatten viel Zeit, die Jüngeren übrigens auch, und sie befassten sich auch nicht, wie zum Beispiel das Gewohnheitsrecht, mit dem Irrelevanten, dem Nebensächlichen und dem Nichtzuständigen. Nehmen wir doch mal diese leere Schublade –»
    «Ja, was hätten Ihre Talmudisten zu einer leeren Kommodenschublade gesagt?»
    Der Rabbi grinste. «Auf jeden Fall hätten sie zwei Möglichkeiten erwogen: a) dass die Schublade nie voll gewesen war; und b) dass sie voll war und dann geleert worden ist.»
    «Ich kapier es nicht», sagte Schroeder. «Ich will nichts Ehrenrühriges gegen diesen Talmud sagen, was immer das sein mag, aber was für einen Unterschied macht es, ob das Ding voll war und geleert worden ist oder ob es nie benutzt wurde? Jetzt zumindest ist es leer.»
    «Nun, wenn die Schublade nie benutzt worden wäre, würden Sie sich dann nicht nach dem Grund fragen? Offenbar liegt es nicht daran, dass er nichts zum Hineintun hatte. Sehen Sie doch mal, wie er da die Pullover auf die Unterhemden gestapelt hat.»
    «Na, vielleicht hat er sich nicht gern gebückt.»
    «Er musste sich aber bücken. Seine Schuhe standen unten im Kleiderschrank», stellte der Rabbi fest.
    «Schon gut», unterbrach Ames ungeduldig. «Nehmen wir also an, ursprünglich hat sich etwas in der Schublade befunden. Was ergibt das?»
    «Die nächste Frage: Wer hat sie ausgeräumt? Es war entweder Hendryx oder jemand anderes.»
    «Donnerwetter, ist das logisch!», sagte Schroeder ironisch. «Sie können auch sagen, dass entweder ich das war oder ein anderer, oder George Washington oder sonst wer.»
    Ames grinste, aber der Rabbi fuhr fort, als wäre er nie unterbrochen worden. «Oder es könnten beide gewesen sein.»
    «Ich glaube nicht, dass zwei Leute gebraucht werden, um eine Kommodenschublade auszuräumen», sagte Ames.
    «Ich meine nicht, dass sie es zusammen gemacht haben. Ich wollte andeuten, dass Hendryx wahrscheinlich die Schublade geleert hat, um für etwas anderes Platz zu schaffen. Und dass dieses andere danach wieder entfernt wurde.»
    «Und zwar von jemand anderem? Wollen Sie drauf hinaus, Rabbi?»
    Der Rabbi nickte Ames zu.
    Dem Sergeant dämmerte es plötzlich. «Moment! Ich weiß, was er damit sagen will! Hendryx räumt die Schublade aus, um etwas Spezielles hineinzutun, Papiere vielleicht oder Dokumente. Dann wird er ermordet, und – jetzt passen Sie auf – Roger Fine kommt hierher, um sie zu holen, weil sie für ihn natürlich wichtig sind – es ist sein Geständnis und die Prüfungsaufgabe. Das sind die einzigen Beweise, dass er die Aufgaben verraten hat. Als er dann hier ist, sieht er, wie leicht es ist, vorzutäuschen, dass Hendryx noch einmal in seine Wohnung gegangen ist, nachdem die Putzfrau fort war, und sich dann ein Bombenalibi zu verschaffen. Also legt er die Pfeife in den Aschenbecher und brennt ein paar Streichhölzer ab.»
    Der Rabbi nickte anerkennend. «Das ist ausgezeichnet, Sergeant, nur trifft das nicht auf Roger Fine zu.»
    «Warum nicht?»
    «Weil Fine kein Alibi hat. Außerdem brauchte Hendryx für die Papiere, von denen Sie gesprochen haben, keine Schublade leer zu räumen. Er würde sie doch wohl
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