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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung
Autoren: Amelie Fried
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Tiegel und Tuben auf und probiere all die duftenden Cremes und Lotionen. Meine Mutter wird Irma verdächtigen, und bald werde ich ein neues Kindermädchen haben. In einer Wolke aus Gerüchen schlafe ich schließlich ein und sehe im Traum meine Mutter, die lachend den Kopf in den Nacken wirft.

    Ich war bei ihr angekommen. Sie war sechzig und sah sehr gut aus, sie war groß und kräftig, hatte üppiges, kaum ergrautes Haar und erstaunlich wenig Falten. Am schönsten hatte ich immer den Schnitt ihrer Augen gefunden, sie waren leicht schräg, die hohen Augenlider gaben ihrem Blick etwas Entrücktes, das allerdings schnell in Kälte umschlagen konnte. Ihre Nase wirkte elegant, ihr Mund, dem man am ehesten die Spuren des Alters ansah, war groß und früher sicher sehr verführerisch gewesen.
    Zweifellos war sie noch immer eine attraktive Frau mit einer geradezu majestätischen Ausstrahlung.
    Nicht umsonst trug sie den Kosenamen Queen Mum.
    Es war an unserer Hochzeit gewesen, als mein Schwiegervater sich während der Ansprache meiner Mutter zu seiner Frau beugte und geflüstert hatte: »She’s acting like Queen Mum, isn’t she?«
    Das vermeintliche Flüstern war wie ein Donnerhall, mein reizender Schwiegervater war nämlich hochgradig schwerhörig und brüllte, wenn er zu flüstern glaubte.
    Die gesamte Hochzeitsgesellschaft hatte ihn gehört und verstanden, was er meinte. Von da an hatte Mummy ihren Spitznamen weg, von dem sie nicht sehr erbaut war.
    »Königinmutter? Die sieht doch aus wie eine Brauereibesitzersgattin«, war ihr Kommentar.
    Ich küßte sie auf die rechte, dann auf die linke Wange.
    »Fröhliche Weihnachten, Mummy. Schön, daß du da bist!« Da war er wieder, der Zigarettengeruch.
    Sie sah mich an. »Mein Gott, Kind, dein Auge! Das ist ja chronisch geworden, warst du schon beim Arzt?«
    Wieder einmal erklärte ich ihr, daß es eine Allergie wäre, die sich mal stärker, mal schwächer zeigte und immer wieder ganz verschwände. Und wie jedesmal stellte sie Vermutungen darüber an, worauf ich wohl allergisch sei, und kam zu dem Schluß, daß es mit meiner Ernährung zu tun haben müsse.
    Schon lange hatte sie diesen Ernährungs-Tick. Als ich ein Kind war, wurde ich mit Hirseküchlein und Grünkernschrot gefüttert; aus dieser Zeit hatte ich eine heftige Abneigung gegen gesundes Essen zurückbehalten.
    Ich ernährte mich und meine Familie streng nach dem Lustprinzip und hegte eine ausgesprochene Vorliebe für Junkfood aller Art. Nur Hamburger mochte ich nicht, aber sonst liebte ich alles, was fett und ungesund war.
    Durchaus möglich, daß daraus mein Übergewicht resultierte, aber die Auflehnung gegen Körnerkost war der einzige Akt der Rebellion, zu dem ich fähig war.
    Heute aber war Weihnachten, und Rebellion war nicht angesagt. Ich war wild entschlossen, den Abend zu einem Erfolg zu machen. Freundlich lächelnd nahm ich den Topf mit Dinkel-Mangold-Lasagne in Empfang, den meine Mutter vorbereitet hatte. Die Menge hätte problemlos für eine weitere fünfköpfige Familie gereicht, aber ich würde mir meine Weihnachtsgans nicht nehmen lassen.
    Bis zum Nachmittag ging alles gut. Wir plauderten über Mummys jüngsten Kulturtrip in die Ukraine und über die Weihnachtsbräuche der Neuseeländer. Reizthemen wie Ernährung, Kindererziehung oder Esoterik umschifften wir geflissentlich, und ich verkniff mir jeglichen Kommentar zu ihrer Qualmerei. Friedrich ließ seinen geballten Charme spielen, und die Kinder waren vorweihnachtlich brav. Erst beim Christbaumschmücken begannen sie zu streiten.
    »Ich will kein Lametta, das ist aus Alu und ’ne totale Umweltsauerei«, schimpfte Lucy.
    »Aber ich will Lametta, Lametta ist das Schönste am ganzen Christbaum«, heulte Jonas.
    Ich versuchte zu schlichten. »Du hast ja recht, Lucy, aber wo das Lametta doch schon mal da ist …«
    »Immer hältst du zu Jonas, dann schmückt euren Scheiß-
    Baum doch alleine!« Lucy stampfte aus dem Zimmer und knallte die Tür zu.
    Queen Mum hob eine Augenbraue.
    »Sie ist zur Zeit ein bißchen schwierig«, entschuldigte ich mich. Warum mußten mir diese Gören immer in den Rücken fallen?
    »Hast du’s mal mit Chakra-Stimulation probiert?« erkundigte sich Queen Mum, »das Kind hat Energieblockaden, die muß man auflösen. Nur wenn die Energie frei fließt, kann ein Mensch glücklich sein.«
    Ich wußte genau, daß ein Live-Konzert der Backstreet Boys eine ungleich höhere therapeutische Wirkung haben und mein Kind im Handumdrehen
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