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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung
Autoren: Amelie Fried
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glücklich machen würde, aber ich verzichtete auf eine Antwort.
    »War ich als Teenager eigentlich auch so schrecklich?« fragte ich.
    »Das kann man wohl sagen! Zwischen zwölf und zwanzig hast du alles nur beschissen gefunden, ich glaube, in dieser Zeit hast du kein freundliches Wort zu mir oder deinem Vater gesagt. Na ja, und mit einundzwanzig warst du schwanger.«
    Da war sie wieder, die alte Bitterkeit. Warum konnte sie nicht akzeptieren, daß es mein Leben war und daß sie kein Recht hatte, ständig daran herumzukritisieren!
    »Wie war’s mit einem Kaffee, Mummy?« fragte ich betont freundlich.
    »Danke, hast du auch Kräutertee?«
    Ich wühlte in den hintersten Winkeln meines Küchenschrankes, bis ich eine verstaubte Tüte Pfefferminztee gefunden hatte.
    Queen Mum half Jonas, der triumphierend den Inhalt von drei Lamettapackungen über die Tannenzweige verteilte. »Wo sind denn die wunderschönen alten Engelsfigürchen, die ich dir mal geschenkt habe?« fragte sie plötzlich.
    Ich zuckte zusammen. Ich hatte sie immer schrecklich gefunden, diese kitschigen Engel mit ihren dicken Kindergesichtern, die jahrelang unseren Christbaum zu Hause verunstaltet hatten. Irgendwann hatte ich sie weggeschmissen.
    »Äh, die waren zum Teil kaputt … ich glaube, die Kinder hatten sie … ich weiß nicht genau«, stotterte ich verlegen herum.
    »Schade«, sagte sie.
    Ihr Gesichtsausdruck sagte mehr. Du liebst mich nicht, sagte er, du bist eine schlechte Tochter und heute noch genauso lieblos wie damals, als du ein Teenager warst.
    Das Jucken an meinem Auge flammte auf, mit gepreßter Stimme sagte ich: »Entschuldige mich bitte einen Moment« und lief ins Bad. Ich schmierte eine dicke Schicht Cortisonsalbe auf die entzündeten Stellen. Dieser Tag war stressig genug, da mußte ich nicht obendrein die Juckerei aushalten.
    Gegen vier Uhr machten Friedrich, Mummy, Lucy und Jonas traditionell einen Spaziergang und brachten einen Korb voller Leckereien und Geschenke in ein nahegelegenes Asylbewerberheim.
    Ich nutzte die Zeit, um die Bescherung vorzubereiten.
    Jonas nannte das »dem Weihnachtsmann helfen«, denn er war felsenfest davon überzeugt, daß ein bärtiger Typ mit einem Schlitten die Geschenke brachte, ich ihm die Türe öffnete und beim Reintragen half.
    »Hast du mit dem Weihnachtsmann geredet?« wollte er danach immer wissen. »Was hat er gesagt? Hast du ihm auch was von unseren Plätzchen gegeben, zur Belohnung?«
    Ich erzählte ihm jedesmal die tollsten Geschichten von meinem Zusammentreffen mit dem Weihnachtsmann, darin bestand für Jonas ein Großteil der weihnachtlichen Vorfreude.
    »Ich komme nicht mit«, verkündete Lucy, als die anderen dabei waren, sich Stiefel und Mäntel anzuziehen.
    »Natürlich kommst du mit«, bestimmte Friedrich.
    »Sonst kommt der Weihnachtsmann nicht! Der kommt nur, wenn niemand im Haus ist außer Mami.« Jonas trippelte aufgeregt von einem Fuß auf den anderen.
    »Quatsch«, blaffte Lucy, »es gibt ihn gar nicht, deinen Scheiß-Weihnachtsmann.«
    »Du lügst«, schrie Jonas, »natürlich gibt es den Weihnachtsmann! Woher kommen sonst die Geschenke?«
    Bevor Lucy hinterherschicken konnte, daß Mama die Geschenke kaufte und höchstpersönlich unter den Weihnachtsbaum legte, ertönte ein häßliches, knallendes Geräusch. Ich hatte ausgeholt und meiner Tochter eine geschmiert. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wer den größeren Schrecken bekam, sie oder ich. In dem Moment, als es passiert war, tat es mir schon leid.
    »Da siehst du’s, Omi, die Mami haut mich!« brüllte Lucy und warf sich ihrer Großmutter in die Arme. Die hatte ihren Das-kommt-davon-daß-keiner-auf-michhört-Blick drauf.
    Jonas brüllte: »Du lügst, du lügst, nicht wahr, Mami, es gibt den Weihnachtsmann?« Mein Mann verdrehte die Augen und flüsterte mir ein unüberhörbares »Blöde Kuh« zu.
    Ich sank auf eine Treppenstufe und raufte mir die Haare.
    Immer, wenn ich es besonders gut machen wollte, ging alles schief. Wieder einmal hatte meine Mutter einen unwiderlegbaren Beweis für meine Unfähigkeit. Ich biß die Zähne zusammen, um nicht vor Wut loszuheulen.

    Bis zum Abend hatten wir uns alle einigermaßen beruhigt.
    Lucy hatte sich bei Jonas entschuldigt, ich hatte mich bei Lucy entschuldigt, und Friedrich hatte sich bei mir entschuldigt. Jonas hatte sich mit der Version zufriedengegeben, daß der Weihnachtsmann so lange kommt, wie ein Kind an ihn glaubt, und daß danach die Eltern für die Geschenke sorgen.
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