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Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort
Autoren: Batya Gur
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Tuwja, über ihr Eheleben, und sie sprach nie mit ihm über sein Verhältnis zu ihrem Mann und die Exklusivität dieser Verbindung. Die wenigen Versuche, die sie unternahm, um etwas über die Qualität dieser besonderen Beziehung zu erfahren, blieben erfolglos. Er reagierte einfach nicht. Sein Blick versank in »unbekannte Fernen«, wie er es nach einem bekannten Lyrikband ausdrückte, und er schwieg. Einmal, als sie sich laut über die »Situation« wunderte, wie sie die komplizierte Dreiecksbeziehung nannte, deutete er auf die Tür, als wolle er sagen: Geh, ich zwinge dich zu nichts, du bist frei zu gehen.
    Bei gesellschaftlichen Anlässen traten sie zu dritt auf, nur wenige Male war sie allein dabei, wenn er sich mit jungen Dichtern traf. Er verbrachte viel Zeit mit diesen Leuten, und Gerüchte sagten, er tue das vor allem, seit er selbst aufgehört habe zu schreiben. Die Klatschmäuler, die sich hüteten, in Tuwjas Anwesenheit ein Wort zu sagen, verloren jede Hemmung, wenn er nicht dabei war. Das war ihre Art, sich an ihr, Ruchama, dafür zu rächen, daß sie mit niemandem über ihre Beziehung zu Tirosch sprach.
    In Wahrheit war sie ein introvertierter Mensch, ohne Interesse an Literatur, wie sie Tuwja vor langer Zeit im Kibbuz erklärt hatte. Sie las viel, aber keine Lyrik. Gedichte bereiteten ihr nicht den gleichen Genuß wie Tuwja. Die rätselhafte Welt der Lyrik war ihr verschlossen, war ohne Bedeutung. Am liebsten las sie Detektivromane oder Bücher über Spionage, in denen sie kritiklos versinken konnte.
    Sie hatte keine engen Freundinnen, nur Bekannte, einige Frauen, mit denen sie in der Krankenaufnahme der Klinik Scha'arei Zedek arbeitete. Mit ihnen verband sie nur die Arbeit, und die Kolleginnen interpretierten Ruchamas Passivität als einzigartige Fähigkeit des Zuhörenkönnens und der Empathie und erzählten ihr oft von ihren familiären Schwierigkeiten.
    Im Laufe der Zeit war Ruchama klargeworden, daß die Menschen um sie herum ihren Mangel an Vitalität als tiefe Traurigkeit betrachteten, daß viele sie sehr interessant fanden und sich bemühten, ihr Geheimnis zu entschlüsseln. Die Frauen, mit denen sie zusammenarbeitete, vor allem Zipora, eine mütterliche, füllige Frau, die ihr während der Arbeit oft Tee kochte, glaubten, daß diese »Traurigkeit« daher komme, daß sie keine Kinder hatte. Aber Ruchama selbst litt nicht darunter.
    Bis sie Tirosch kennenlernte, bis vor zehn Jahren, lebte sie mit Tuwja im Kibbuz, tat jede Arbeit, die ihr zugeteilt wurde, und verzichtete von vornherein auf unerfüllbare Wünsche.
    Der Umzug nach Jerusalem, damit Tuwja, der vorher im Oranim-Kibbuz-Seminar und später an der Universität in Haifa studiert hatte, sein Studium dort abschließen konnte, war das dramatischste Ereignis ihres Lebens gewesen, besonders weil sie Tirosch traf, dessen schillernde Persönlichkeit ihr Herz eroberte. Sie erkannte sofort, daß er das genaue Gegenteil von ihr war. Sie bewunderte sogar seine Art, sich zu kleiden, und als ihre Beziehungen enger wurden, fühlte sie sich oft wie die Heldin in The Purple Rose of Cairo, als öffne sich der Vorhang im Kino und der Held ihrer Träume steige vor ihren Augen von der Leinwand herab. Da sie ihre innere Welt mit niemandem teilte, noch nicht einmal mit Tuwja, blieb sie für die Fakultätsmitglieder ein Geheimnis. Die Anwesenheit dieser ruhigen, jungenhaften Person, die sich in Schweigen hüllte, immer in Begleitung von Tuwja und später auch von Tirosch, provozierte endlose Kommentare. »Man könnte dich als einen babylonischen Talmud bezeichnen«, hatte Tirosch einmal gesagt, als er sie nach ihrer Meinung zu irgend etwas gefragt und sie nur mit den Schultern gezuckt hatte.
    Es gab viele Versuche, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen, die sie umgab, von den Fakultätsmitgliedern, von den jungen Dichtern, zu denen sie von Tuwja und Tirosch ins Tel-Aviv-Cafe geschleppt wurde. Dort nannte man sie »Schweigerin«, sogar in ihrer Anwesenheit, und auch darauf reagierte sie nur mit einem Lächeln. Nie trank sie dort etwas anderes als schwarzen Kaffee und Wodka pur, anfangs, weil sie es erregend fand, die Bestellung der Kellnerin gegenüber zu formulieren, und später, weil sie, selbst wenn sie etwas anderes gewollt hätte, glaubte, daß die einmal übernommene Rolle verpflichtend sei, und so wurde sie zur Gefangenen der schweigenden, klösterlichen Figur, die sie selbst erschaffen hatte.
    Niemand fragte sich, was Tuwja an ihr fand, aber sie
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