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Am Anfang des Weges

Am Anfang des Weges

Titel: Am Anfang des Weges
Autoren: Richard Paul Evans
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auf meinen Kopf eingetreten.«
    »Sie wurden ganz schön in die Mangel genommen. Sie sollten sich wirklich einen anderen Freundeskreis suchen.«
    »Ich werde es mir merken.«
    »Die Polizei würde gern mit Ihnen reden, wenn Sie sich dazu in der Lage fühlen. Die Beamten warten draußen auf dem Flur.«
    »Die Polizei ist hier?«
    »Einer der jungen Männer, die Sie überfallen haben, wurde angeschossen. Er liegt auf der Intensivstation.« Dann fügte sie hinzu: »Keine Sorge, er wird nirgendwo mehr hingehen. Außer in den Knast.« Sie wandte sich an die Frau neben mir. »Sind Sie seine Frau?«
    »Ich bin eine Bekannte.«
    Ich atmete langsam aus. »Wie lange werde ich hierbleiben müssen?«, fragte ich.
    »Eine Weile. Mindestens ein paar Tage. Vielleicht eine Woche.«
    »Aber dann kann ich mich wieder auf den Weg machen?«
    Sie legte die Stirn in Falten. »Es tut mir leid, aber Sie werden Ihre Pläne erst einmal auf Eis legen müssen. Sie sind nicht in der Verfassung, sich auf irgendeinen Weg zu machen. Ihre nächste Station ist zu Hause.«
    Ich antwortete nicht.
    »Wo sind Sie zu Hause?«, fragte die Frau.
    »Ich bin obdachlos«, sagte ich. Es laut auszusprechen war mir unangenehm.
    »Er kann mit zu mir kommen«, sagte die Frau.
    Die Ärztin nickte. »Okay, das klären wir, wenn es so weit ist. Ich werde in ein paar Stunden wieder nach Ihnen sehen.« Sie legte mir eine Hand auf die Schulter. »Ich bin froh, dass es Ihnen schon so gut geht.« Sie verließ das Zimmer.
    Ich wandte mich an die Frau. »Sie kennen mich doch gar nicht.«
    »Ich weiß, dass Sie jemand sind, der einer Fremden hilft. Außerdem kannten Sie mich ja auch nicht, als Sie mir zu Hilfe gekommen sind. Ich revanchiere mich nur für einen Gefallen.«
    »Woher wollen Sie denn wissen, dass ich kein Serienkiller bin?«
    »Wenn Sie einer wären, dann hätten Sie mein Angebot, Sie mitzunehmen, nicht ausgeschlagen.« Da hatte sie Recht. »Vermutlich nicht«, sagte ich. Ich streckte mich wieder aus und atmete einmal tief durch. Das hier war ein Umweg, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Aber war damit nicht auch mein ganzes Leben ziemlich gut auf den Punkt gebracht? »Ich kenne nicht einmal Ihren Namen«, sagte ich.
    »Entschuldigung.« Sie streckte einen Arm aus und berührte meine Hand. »Ich heiße Annie. Aber alle nennen mich Engel.«

Epilog
    Als ich in der zweiten Klasse war, las uns die Lehrerin ein brasilianisches Märchen mit dem Titel Die kleine Kuh vor.
    Ein Meister der Weisheit wanderte mit seinem Gehilfen übers Land, als sie zu einer kleinen baufälligen Hütte auf einem kargen Stück Ackerland kamen. »Siehst du diese arme Familie dort«, sagte der Meister. »Geh hin und frag sie, ob sie ihr Essen mit uns teilen.«
    »Aber wir haben doch reichlich«, sagte der Gehilfe.
    »Tu, wie ich dich geheißen habe.«
    Der gehorsame Gehilfe ging zu dem Häuschen. Der brave Bauer und seine Frau kamen an die Tür. Sie wurden umringt von sieben Kindern. Ihre Kleider waren schmutzig und zerschlissen.
    »Seid mir gegrüßt«, sagte der Gehilfe. »Mein Meister und ich sind auf Wanderschaft, und es mangelt uns an Essen. Ich bin gekommen, um zu sehen, ob Ihr etwas habt, das Ihr mit uns teilen könnt.«
    Der Bauer sagte: »Wir haben wenig, aber was wir haben, werden wir teilen.« Er entfernte sich und kam dann mit einem kleinen Stück Käse und einem Kanten Brot wieder. »Es tut mir leid, aber wir haben selbst nicht viel.«
    Der Gehilfe wollte das Essen nicht annehmen, aber er tat, wie man ihn geheißen hatte. »Danke. Ihr bringt ein großes Opfer.«
    »Das Leben ist hart«, sagte der Bauer, »aber wir kommen zurecht. Und trotz unserer Armut sind wir reich gesegnet.«
    »Von welchem Segen sprecht Ihr?«, fragte der Gehilfe.
    »Wir haben eine kleine Kuh. Sie liefert uns Milch und Käse, den wir essen oder auf dem Markt verkaufen. Es ist nicht viel, aber sie liefert uns genug, um davon zu leben.«
    Der Gehilfe kehrte mit der bescheidenen Ration zurück zu seinem Meister und berichtete ihm, was er über die Not des Bauern erfahren hatte. Der Meister der Weisheit sprach: »Ich freue mich, von ihrer Großzügigkeit zu hören, aber ich bin tief betrübt von ihren Lebensumständen. Bevor wir diesen Ort verlassen, habe ich noch eine Aufgabe für dich.«
    »Sprecht, Meister.«
    »Geh noch einmal zu der Hütte, und bring mir ihre Kuh.«
    Der Gehilfe wusste nicht, warum, aber er wusste, dass sein Meister gnädig und weise war, daher tat er, wie man ihn geheißen hatte. Als er
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