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Altwerden ist nichts für Feiglinge - Fuchsberger, J: Altwerden ist nichts für Feiglinge

Titel: Altwerden ist nichts für Feiglinge - Fuchsberger, J: Altwerden ist nichts für Feiglinge
Autoren: Joachim Fuchsberger
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schweigen sich an, vermeiden, sich anzusehen, ihre Augen suchen verzweifelt in der Gegend herum, ob sich vielleicht etwas Sehenswerteres als der Partner am Tisch im Raum aufhält. Einigen verhilft die Speisekarte gerade noch zu einem minimalen Gedankenaustausch über den augenblicklichen Gusto, die damit verbundenen Kosten, und wenn’s hochkommt auch noch die nicht einfach zu lösende Frage des unterschiedlichen Getränkewunsches. Danach herrscht wieder Schweigen. Das war’s dann.
    Irgendwann saßen Gundel und ich beim Frühstück, zu Hause. Wir waren mit der Herstellung unserer gänzlich verschiedenen Morgenmahlzeiten beschäftigt. Sie bevorzugt Cornflakes, mit Blaubeeren und laktosefreier Milch, Fettgehalt 1,5%. Ich hingegen beginne den Tag mit einem bestimmten Bauernbrot der Sorte 1331 aus der Hofpfisterei, oder mit einer Brezn vom Bäcker Hauer in Grünwald. In beiden Fällen muss die Butter so aufgestrichen sein, dass sich die Zähne darin abbilden. Dazu kommt ein
ungefähr fingerdicker Belag von geräucherter, grober oder feiner Leberwurst.
    Normalerweise beginnt spätestens dann unsere Konversation mit der immer gleichbleibenden Feststellung meiner Regierung: »So wirst du nicht abnehmen!«
    Darauf wartete ich auch an diesem Tag. Es kam anders.
    »Soso!«, sagte sie, sonst nichts. Ich dachte nach, konnte aber beim besten Willen nichts finden, was dieses »Soso« hätte auslösen können. Notgedrungen fragte ich: »Was heißt soso...?« »Nichts, nur damit wieder mal was gesagt wird. Sonst meinen die Leute, wir hätten uns auch nichts mehr zu sagen...!« »Die Leute...? Welche Leute?« Wir saßen in unserem Haus am Frühstückstisch! »Ich dachte ja nur...«, sagte sie und wir fingen an zu lachen.
    »Also, damit wieder was gesagt wird«, sagte ich, »ich liebe dich!« Weil man das gar nicht oft genug sagen kann.
     
    »Soso« ersetzt inzwischen umständliche Einleitungen zu einem umfangreichen Gedankenaustausch über Vorgänge, die wir um uns herum beobachten.
    »Soso« hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass auch wir manchmal dasitzen und schweigen. Nicht
weil uns nichts einfällt, worüber wir reden könnten, sondern weil wir feststellen, dass wir an das Gleiche gedacht haben. Gedankenaustausch ohne Worte. Vielleicht die höhere Stufe der Gemeinsamkeit?
    Es könnte jetzt der Eindruck entstehen, dass bei uns nur eitel Wonne und Sonnenschein herrschen. Bei Weitem nicht. Manchmal kracht es heftig, bisweilen sind wir unterschiedlicher oder gegenteiliger Meinung. Wir streiten, vertreten nachhaltig bis stur die eigenen Ansichten. Wo möglich lassen wir uns vom Partner überzeugen, manchmal aber auch nicht, immer aber versuchen wir wenigstens, Meinungsverschiedenheiten im Respekt voreinander auszutragen, dem Partner nicht wehzutun, ihn nicht zu verletzen.
    Was hat das nun alles mit dem Alter zu tun?
    Viel, sehr viel! Die »bessere Hälfte«, wer immer das in einer Partnerschaft sein mag, hetero, schwul oder lesbisch, ganz egal: Die bessere Hälfte sollte, müsste, könnte der Rettungsring sein, wenn das Wasser bis zum Hals steht, das Geländer oder Halteseil beim halsbrecherischen Auf- oder Abstieg, der Fallschirm beim freien Fall aus Höhen, in denen die Luft zu dünn wurde. Warum ich das in den Konjunktiv setze? Weil es so selten geworden ist mit den besseren Hälften, weil es das kaum noch gibt, dass man ohne »Wenn« und »Aber« für den Partner da ist, Freud und Leid
miteinander teilt, zusammen durch dick und dünn geht, sich bei der Hand nimmt und sagt: »Das schaffen wir!«
    Das hört sich jetzt an wie aus einem Lehrbuch für Paarungswillige. Gebe ich ja zu, ist aber eher fünfeinhalb Jahrzehnte gemeinsam praktizierte Lebenserfahrung. In dieser langen Zeit waren wir oft Seelenmülleimer, Schutthalde für zerbrochene Illusionen, erfolglose Ratgeber für viele, bei denen nicht nur die Ohren, sondern auch die Herzen verstopft waren. Bei einigen möglicherweise nur das Hirn.
     
    Da fallen mir Philemon und Baucis ein, das alte Ehepaar aus der phrygischen Sage. Hand in Hand saßen sie auf der Bank vor ihrer ärmlichen Hütte und warteten auf den gemeinsamen Tod. Als Einzige boten sie den Göttern Jupiter und Merkur auf ihrer Wanderung Gastfreundschaft und Unterkunft. Daraufhin überschwemmten die Götter die gesamte Umgebung, die Hütte ihrer Gastgeber aber verwandelten sie in einen prachtvollen Tempel. Als Jupiter ihnen darüber hinaus noch eine Bitte freistellte, wünschten sich beide als Priester des Tempels
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