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Altwerden ist nichts für Feiglinge - Fuchsberger, J: Altwerden ist nichts für Feiglinge

Titel: Altwerden ist nichts für Feiglinge - Fuchsberger, J: Altwerden ist nichts für Feiglinge
Autoren: Joachim Fuchsberger
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Verhalten betrifft, frei nach John F. Kennedy, sollten wir Alten aufhören zu fragen, was der Staat für uns tun kann, sondern mit erhobenen grauen Häuptern sagen, was wir für den Staat bereits getan haben und noch tun könnten - wenn man uns ließe.
    Immer mehr junge Leute begreifen, dass die »Nullbockzeit« vorbei ist, dass sie ihre überschüssige Energie am falschen Platz verschwenden, wenn sie meinen, ihre Probleme durch Gewalt und Zerstörung lösen zu können.
    Es tut mir weh, wenn ich die Typen sehe, aus deren kahl geschorenen Köpfen dumme Sprüche kommen. Früher marschierte diese Spezies in braunen Uniformen mit Hakenkreuzfahnen durch die Straßen, beschmierte Schaufenster jüdischer Geschäfte mit dem Davidstern oder zerschmiss sie gleich. Heute laufen einige in Fallschirmspringerstiefeln, schwarzen Hosen und Hemden Amok.
    Noch sind linke und rechte Extremisten eine überschaubare und kontrollierbare Minderheit. Sorgen wir dafür, dass sie es bleiben, wir Alten wissen, wohin so etwas führt.
     
    Der 29. Mai des Jahres 2010: Einhundertzwanzig Millionen Menschen hatten sich vor den Bildschirmen
versammelt, um sich von einer hübschen, hüpfenden neunzehnjährigen Schülerin, mit Namen Lena Meyer-Landrut, beglücken zu lassen.
    Europaweit trällert sie, als Nummer 22 in diesem bis dato obskuren Wettbewerb, ein Liedchen mit unverständlichem Text, in einer Manier, die auch einen alten, ge-outeten »Anti-Eurovision-Song-Contest-Verweigerer« die Ohren spitzen lässt.
    Lena vertritt die Bundesrepublik Deutschland in Oslo, bei diesem jährlich wiederkehrenden, musikalisch eher ärgerlichen Event. Und was geschieht? Dieses junge Geschöpf gewinnt den »Eurovision-Song-Contest«! Nach achtundzwanzig Jahren schmerzlicher Demütigungen deutschen Liedgutes bei diesem Spektakel.
    Europa rastet aus, von den Fjorden bis zum Mittelmeer! Selbst die zu Gesichtsneutralität verpflichteten Nachrichtendamen und -herren aller Fernsehsender, privater wie öffentlich-rechtlicher, verziehen ihre eingestarrten Mienen bei der Verkündung dieser Sensation zu einem Lächeln.
    Sondersendung der Ankunft der Sondermaschine der Lufthansa. Das Wunderkind kehrt in ihre Heimatstadt Hannover zurück, erwartet von Tausenden begeisterter Fans und einem roten Teppich, auf dem der Niedersächsische Ministerpräsident brav und
geduldig auf das Erscheinen der neuen deutschen Lichtgestalt wartet. Blumen im Namen der Bundeskanzlerin!
    Wo sind eigentlich die Eltern? Hat sie keine? Habe ich nicht einen Verwandten von ihr vor Jahren in der deutschen Botschaft in Moskau kennen gelernt?
    Was ist geschehen? Was hat das zerstrittene Europa über Nacht zu »Lenasthenikern« gemacht?
    Ist es die erfrischende, unbekümmerte Jugend der hübschen Schülerin Lena? Nein!
    Ist es das Lied »Satellite«, von dem ich immer noch nicht weiß, wer es geschrieben hat und worum es da geht? Nein!
    Also was dann?
    Warum rastet ganz Europa plötzlich aus? Da tanzen Hunderttausende in den Straßen, in Wohnstuben, ganz egal wo, ganz egal welchen Alters, sie lassen sich von diesem umwerfenden Springinsfeld anstecken. Da hüpft Jung mit Alt, Väter mit ihren Kindern, Großeltern mit ihren Enkeln, sie hüpfen über Tische und Bänke, über Betten und Sofas, sie hüpfen in den Straßen, das alte Europa tanzt mit der jungen Lena aus Hannover.
    Wie ist das möglich?
    Ich denke, die Erklärung ist relativ einfach: Die Menschen haben genug, endgültig genug von
schlechten Nachrichten, Hiobsbotschaften und Kassandrarufen aus griesgrämigen Politikergesichtern. Ein fröhliches Mädchengesicht kommt wie ein Lichtstrahl aus schwarz bewölktem Himmel. Aus Lena Meyer-Landrut wird ein Engel, der ihnen die Sorgen einfach wegsingt und weghüpft. Deutschland hat eine neue Lichtgestalt. Halleluja!
    Sie wollen nicht mehr hören, ob unsere Soldaten in Afghanistan zu Recht oder zu Unrecht dort für unsere Sicherheit kämpfen und sterben, sie wollen nicht mehr hören, dass es einer Weltmacht, die Astronauten auf den Mond geschickt hat, und einem milliardenschweren Ölkonzern über Wochen nicht gelingt, ein Loch auf dem Meeresboden im Golf von Mexico zu stopfen.
    Sie sind es leid, dass sie von nach wie vor ausgabefreudigen Politikern und den Medien rund um die Uhr darauf hingewiesen werden, dass wir pleite sind und harten Zeiten entgegensehen.
    Sie zweifeln an der Lauterkeit der gewählten Volksvertreter, die Milliardenbeträge zur Rettung unseriöser Bankiers und für EU-Pleiteländer absegnen,
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