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045 - Das Kind des mordenden Götzen

045 - Das Kind des mordenden Götzen

Titel: 045 - Das Kind des mordenden Götzen
Autoren: Brian Elliot
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Doch die unsichtbare Gewalt, die das Messer führte, zögerte noch. Die Klinge blieb vor Emilios Augen, näherte sich spielerisch, drohte in sie hineinzutauchen und wich wieder zurück.
    Ein Zittern lief durch den Körper des Indios. Seine Hände krallten sich in den Sand. Die Nägel brachen. Doch er spürte es nicht.
    Emilio Valiche beugte sich nach hinten. Die Klinge folgte. Er fiel auf die Ellenbogen zurück. Die Klinge folgte.
    Plötzlich fühlte der Alte das sanfte Streicheln von zarten Händen an seinen Bartstoppeln. Die Hände waren weich und kalt. Emilio zuckte unter ihrer Berührung zusammen. Er beugte sich noch weiter zurück, lag auf dem Sand.
    Die unsichtbare Hand streichelte liebkosend seine Stirn. Ein Eishauch ging von ihr aus. Der Alte fühlte sich an den Boden gepreßt. Er fühlte, als würde er eins mit der Erde unter ihm.
    Er hatte das Kinn an die Brust gezogen. Er sah das Messer über seiner knochigen Brust. Und er sah, wie die Klinge tief in seinen Leib fuhr.
    Erst jetzt konnte Emilio schreien. Alle Qual der Welt lag in diesem Schrei, und es war das letzte, was Emilio Valiche von sich gab.
    Sein Schrei drang schauerlich hinaus in das enge Tal von Tesocco und brach sich an den steilen Felswänden des Hochtals, ein heulendes Echo hervorrufend.
    Hunde begannen zu kläffen, und Stimmen wurden laut. Das Dorf Tesocco erwachte zum Leben, als der alte Indio schon tot war. Das Getrappel von Schritten kam näher. Es endete schlagartig am Eingang zu Emilios Hof.
    »Madre mia!« schrie Irasema, die Frau des Alten.
    Dann brach sie zusammen.
    Nachbarn legten sie behutsam auf die Erde und kümmerten sich um sie. Beherzte Männer traten scheu hinüber zu der Leiche.
    Die Augen des alten Indios glänzten stumpf im flackernden Schein der Flammen. Sie waren unnatürlich weit geöffnet. Sein Mund war noch im Schrei aufgerissen, mit dem er seinen Tod in die Welt hinausgebrüllt hatte. Die Männer schauderten. Frauen bekreuzigten sich.
    An der linken Brustseite klaffte eine faustgroße Wunde. Sie wußten, was das bedeutete.
    Xandros hatte sein Opfer gefordert und es bekommen. Xandros, der blutrünstige Sonnengott der alten Kultur.
    Aus Emilios Brust war das Herz geschnitten.
    Die Männer fielen vor seiner Leiche in die Knie und drückten die Stirnen in den Sand, die Arme weit nach vorn gestreckt. Frauen stimmten Klagelieder an.
    Niemand folgte der Spur der Blutstropfen, die von der Leiche weg über den niedrigen Zaun und von dort hinüber zu den Sümpfen führten.
    Das Grauen hatte die Menschen erstarren lassen. In abergläubischer Furcht beteten sie zu Xandros, dem bluttrinkenden Gott ihrer Väter...
    ***
    Patrick Morgan tat an diesem Vormittag, was er an jedem anderen Vormittag auch tat, wenn ihn nicht die Nachwehen einer feuchtfröhlichen Nacht länger in den Federn hielten. Er studierte Zeitungen.
    Das gehörte mit zu seinem Beruf. Als Korrespondent einiger großer amerikanischer Wochenblätter war er ständig auf der Suche nach Themen, die im nördlichen Nachbarland interessieren mußten. Patrick verstand etwas von seinem Job. Sonst hätte er die Miete in diesem Apartmenthaus am Rande von Mexico City nicht bezahlen können. Vom Fenster aus hatte er eine herrliche Aussicht auf die Lagunen von Xochimilco. Wenn er nachts auf dem Balkon saß, hörte er die Marimbaklänge und die Musik, die Gitarrenspieler auf ihren Instrumenten anschlugen, während ihre Flöße über das warme Wasser der Lagune trieben.
    Doch jetzt beschäftigte ihn etwas ganz anderes.
    Er hatte einen Stapel Zeitungen vor sich liegen. Sie stammten alle aus der Sierra Volcanica, dem Hochland südlich von Oaxaca. Einige Meldungen waren rot angestrichen. Sie handelten von mysteriösen Todesfällen in abseits gelegenen Dörfern. Doch die Verfasser dieser Artikel hatten sich nicht präzise genug ausgedrückt. Gemeinsam waren sämtliche Meldungen nur, daß die gefundenen Leichen verstümmelt waren. Welche Verletzungen sie aufwiesen, war nicht vermerkt.
    Patrick Morgan erhob sich vom Rauchglastisch, der mitten im Wohnzimmer stand und mit Bergen von Zeitungen und Zeitschriften bedeckt war. Er ging hinüber zum Bücherregal, das eine ganze Wand ausfüllte. Wie überall im Zimmer, herrschte auch dort das geordnete Chaos, das so oft die Arbeitsplätze vornehmlich geistig arbeitender Menschen auszeichnet. Er fand die gesuchte Landkarte mit einem Griff und kehrte mit ihr zum Tisch zurück. Seine Finger glitten über die Ortsnamen, nachdem er die Karte
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