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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde
Autoren: Mary Mackey
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kostbar. Selbst die Steine in der erkalteten Feuergrube sahen schön aus. Sie lagen in einer merkwürdigen Anordnung, jeder von einer eigenen Farbe und Beschaffenheit. Einige waren rissig und blankgescheuert, andere wiesen schwarze Streifen von Ruß auf, und wieder andere erhoben sich wie kleine Inseln aus der weichen grauen Asche. Warum hatte sie sich nie die Zeit genommen, um die Schönheit alltäglicher Dinge zu schätzen? Sie hatte so vieles vom Leben unbemerkt vorbeigleiten lassen.
    Marrah dachte an all die Dinge, die zu tun sie sich immer vorge-nommen hatte, an die Zukunftspläne, die sie eines Tages hatte verwirklichen wollen, als sie plötzlich den vertrauten, schrillen Gesang der Hansi-Frauen hörte. Das Trällern schien weit entfernt, aber während sie atemlos lauschte, kam es unaufhaltsam näher.
    »Dalish «, flüsterte sie.
    Dalish setze sich so schnell auf, daß man nur schwer glauben konnte, daß sie fest geschlafen hatte. »Was gibt es?«
    »Hörst du das ?«
    Sie horchten beide, während der Gesang näherkam. In die Klänge mischten sich Flöten, kupferne Becken und etwas, das sich nach einem Tamburin anhörte. Inzwischen war auch Akoah erwacht. Sie umklammerte Marrahs Hand und starrte auf die Zeltklappe.
    »Kommen sie, um uns zu holen ?«
    Dalish nickte.
    »Was singen sie da ?«
    »Ein Hochzeitslied.«
    Akoah und Marrah waren verdutzt. »Ein Hochzeitslied?« Akoah zog sich ihren Schal um die Schultern und packte Marrahs Hand noch fester. »Was denn für eine Hochzeit? Wovon redest du ?« Aber Dalish mußte recht haben, denn die Musik klang ganz und gar nicht nach Begräbnismusik. Sie war laut und fröhlich, und Marrah konnte sich mühelos vorstellen, wie sich die Frauen bei den Händen faßten und im Kreis tanzten, so wie sie an dem Tag getanzt hatten, als man sie mit Vlahan verheiratet hatte.
    »Übersetze für uns, Dalish.«
    Dalish sträubte sich zuerst, doch schließlich gab sie nach. »Es ist ein traditionelles Lied, das die Nomaden nur dann singen, wenn ein Großer Häuptling gestorben ist. Es hat eine Menge Strophen, doch der Refrain ist immer derselbe:

    ›Heil den glücklichen Bräuten,
    die den Hauch des Paradieses atmen.
    Freut euch, freut euch,
    denn bald werdet ihr bei den Göttern sein.
    Heute ist Hans Tag.
    Heute ist Zuhans Tag.
    Heute ist der beste Tag, um zu sterben.«
     
    Als Dalish zu dem Wort »sterben« kam, schrie Akoah auf und schlug sich die Hände vors Gesicht, und Marrah fühlte wieder, wie kalte Furcht von ihr Besitz ergriff. Der Friede, den sie zuvor gefunden hatte, verschwand schlagartig. Es würde nicht leicht sein, dem Tod mit Würde ins Auge zu sehen. Würde sie um ihr Leben flehen und schreien wie Zulike, wenn sie die Bogensehne sah? Würde das letzte, was sie sah, Changars kaltes Lächeln sein? Sie grub ihre Fingernägel in die Handflächen und versuchte, die Furcht irgendwohin zu verdrängen, wo sie sie nicht überwältigen konnte, aber die Stimmen kamen unaufhaltsam näher.
    »Kein Tag ist ein guter Tag zum Sterben«, murmelte sie trotzig, aber es kam keine Antwort, und als sie aufblickte, sah sie, wie Dalish sie mit weitaufgerissenen, angstvollen Augen anstarrte.
    Ein paar Sekunden lang blickten sie sich gegenseitig an, während jede vergeblich nach Trost in den Augen der andern suchte. Dann brach der Gesang ganz plötzlich ab, die Zeltklappe wurde aufgerissen, und fünf Frauen traten über die Schwelle mit Eimern warmen Wassers und Körben voll weißer Hochzeitskleidung. Eine war die rotschöpfige Timak, die besonders zufrieden aussah, als sie Marrah erblickte. Hiknak ging ein paar Schritte hinter ihr, den Blick auf den Boden gesenkt, wie es sich für eine gehorsame Konkubine gehörte. Die anderen drei kannte Marrah nicht, obwohl sie sie häufig im Lager gesehen hatte, aber sie waren alle groß und kräftig, ohne Zweifel ausgewählt wegen ihrer Fähigkeit, von Panik erfüllte Opfer zu bändigen.
    »Guten Morgen«, sagte Timak. Sie lächelte, zeigte ihre spitz gefeilten Zähne. Es war erst das zweite Mal, daß Marrah sie jemals hatte lächeln sehen, und der Ausdruck stand ihr gar nicht. Er verlieh ihrem Gesicht etwas Blutgieriges, ließ sie wie ein hungriger Wolf aussehen. »Wir sind gekommen, um euch für die Zeremonie anzukleiden.« Sie bedeutete den Frauen, die Körbe abzusetzen.
    Timaks Anblick versetzte Marrah erneut in eine rebellische Stimmung. »Und was, wenn wir nicht mitmachen ?« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte die ältere Frau
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