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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde
Autoren: Mary Mackey
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fallen und begann zu schreien und zu schluchzen und um ihr Leben zu betteln. Es war schrecklich entmutigend, aber Marrah konnte es ihr nicht verübeln. Sie selbst hätte am liebsten ebenfalls geschrien und gefleht, doch ihr Stolz hielt sie zurück.
    Die Wachen zogen Akoah auf die Füße, fesselten ihre Hände und zerrten sie aus dem Zelt. Dann kamen sie zurück, um Dalish zu holen, die wie eine Königin mit hoch erhobenem Kopf hinausging. Als sie zurückkehrten, um Marrah wegzubringen, stand sie in einer Ecke des Zelts, die Augen geschlossen und die Fingerspitzen im Zeichen der Göttin zusammengelegt. Grob rissen sie ihr die Hände auseinander und fesselten sie hinter ihrem Rücken. Sie hätte Widerstand leisten können, aber sie tat es nicht.
    Wenn ich schon sterben muß, dann laß mich wie eine Priesterin sterben, dachte sie. Laß mich sterben, ohne jemandem Schaden zuzufügen.
    Einer der Krieger drückte ihr die Spitze seines Speers zwischen die Schulterblätter und schob sie in Richtung der offenen Zeltklappe, und Marrah trat hinaus ins Sonnenlicht. In der Nacht war reichlich Schnee gefallen, und die Welt war in ein weißes Tuch gehüllt. Schnee lag auf dem hohen Gras und drückte es zu seltsamen Formen nieder. Der Erdhügel, der über Zuhans Grab aufgeschichtet werden würde, war so glatt wie ein Laib ungebackenen Brotes, und der flache Horizont dahinter glitzerte wie die Schneide eines Messers. Hoch oben am blaßblauen Himmel trieben ein paar lange Wolken und zerfaserten allmählich zu Fetzen.
    Marrah blinzelte und hielt einen Moment inne, geblendet von der Helligkeit, aber der Krieger stieß sie unbarmherzig vorwärts. Der Schnee machte ein schwach knirschendes Geräusch unter ihren Stiefeln. Zu ihrer Linken war ein totes Pferd mit Gras ausgestopft und auf einen Stock aufgespießt worden. In seine kurze schwarze Mähne waren bunt gefärbte Wollfäden eingeflochten, und sein Maul stand offen, als würde es jeden Moment wiehern, aber die Augen des Tieres waren glasig und tot. Neben dem Pferd war ein weiteres totes Pferd aufgestellt worden und noch eines und immer so weiter – fünfzig Tiere, die einen großen Kreis um Zuhans offenes Grab bildeten. Im Inneren des Kreises hatte sich der gesamte Stamm versammelt, die Männer auf der einen Seite, die Frauen auf der anderen. Die braunen Tuniken und Beinlinge der Krieger waren zerrissen und mit Asche beschmiert, aber sie schienen in guter Stimmung zu sein. Schläuche mit Kersek wanderten von Hand zu Hand, und ganze Gruppen von Frauen waren damit beschäftigt, neue herbeizubringen. Irgendwo außer Sichtweite dröhnten Trommeln, aber Marrah war zu klein, um sehen zu können, wer die Trommeln schlug.
    Als sie näherkam, teilte sich die Menge und machte Platz für sie. Neugierige Gesichter starrten ihr entgegen. Ein junger Mann mit einem aufgemalten Wolf auf der Stirn lächelte ihr ermutigend zu, und eine alte Frau mit baumelnden Ohrringen tätschelte sie an der Schulter. Es war nicht so, als wären sie grausam, zumindest nicht nach ihren eigenen Maßstäben. Sie wußten, Marrah war auf dem Weg in den Tod, aber soweit es die Hansi betraf, war ihr Tod eine öffentliche Angelegenheit, deshalb drängten sie sich um sie und schoben ihre Gesichter so dicht vor ihres, bis sie kaum noch atmen konnte. Marrah war ihnen so nahe, daß sie den Käse in ihrem Atem riechen und die aufgesprungenen Stellen sehen konnte, wo der eisige Wind der Steppe ihre Haut verbrannt hatte. Eine junge Frau hielt ein rotgesichtiges, quengelndes Kind hoch, und Marrah begriff, daß man von ihr erwartete, das Kleine zu segnen. Irgendwie war sie zu einem Objekt der Verehrung geworden. Es war zermürbend.
    »Bring das Kind weg«, bat sie, aber sie war so aufgeregt und erschüttert, daß sie Shambah gesprochen hatte. Die junge Mutter lächelte, glaubte ohne Zweifel, Marrah hätte ein paar Segensworte zu dem Kind gesagt.
    Weitere neugierige Gesichter, mehr Getätschel an Kopf und Schultern. Jetzt konnte sie die Trommler sehen, die auf einer Decke saßen, ihre Trommeln zwischen den Knien. Ihre Gesichter waren rot und schwarz bemalt, und ihre Finger wiesen gelbe Streifen auf. Als sie die Trommeln schlugen, flogen ihre Hände wie Vögel, und sie lehnten sich mit halbgeschlossenen Augen zurück, bereits hypnotisiert von ihrer eigenen Musik. Manchmal streckte einer von ihnen die Hand aus und schüttelte einen Strang Muscheln oder kleine Kupferglocken, und die Menschenmenge stimmte ein Lied an, in dem es
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