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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde
Autoren: Mary Mackey
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hauptsächlich um Zuhan ging und welch großartiger Häuptling er gewesen war, aber einmal war sich Marrah sicher, Arangs Namen gehört zu haben.
    Jedesmal, wenn sie einen Schritt vorwärts machte, wurden die Trommeln lauter. Plötzlich teilte sich die Menge erneut, und sie sah Zuhans Grab wie einen offenen Schlund im Erdboden klaffen. Das Loch war zwanzig Schritt lang, zwölf Schritt breit und viermal so tief, wie ein Mann groß war, ausgekleidet mit weißen Steinen. Um den Rand herum waren in regelmäßigen Abständen Pfähle in den Boden geschlagen wie die Pfosten eines halbfertigen Zauns, jeder einzelne aus massiver Eiche geschnitzt und mit hellroten Fähnchen und Bündeln von Adlerfedern geschmückt. Die Fähnchen an der Spitze flatterten fröhlich im Wind, doch unter ihnen war nichts als Grauen. An zwei der Pfähle waren Dalish und Akoah gebunden, beide an Händen und Füßen gefesselt. An einem dritten Pfahl stand Stavan.
    Die Nomaden hatten ihn bis auf einen ledernen Lendenschurz entkleidet, seinen Körper mit Sonnensymbolen bemalt und ihm einen Knebel in den Mund geschoben, damit er nicht schreien konnte, aber sie hatten ihm seine Stiefel gelassen und ihm einen Umhang aus Fuchsfellen umgehängt, so daß er nicht frieren würde. Er mußte ihnen einen verzweifelten Kampf geliefert haben, denn seine linke Wange war mit üblen Blutergüssen bedeckt, seine Lippe war aufgeplatzt und sein Haar mit getrocknetem Blut verklebt.
    Einen Augenblick stand Marrah wie erstarrt da und ließ den grauenhaften Anblick auf sich einwirken, dann fing sie an zu schreien. Und so wurde sie zu ihrem eigenen Pfahl geschleift, laut schreiend, während sie sich bei jedem Schritt des Weges heftig gegen ihre Peiniger wehrte. »Ihr könnt Stavan nicht töten!« kreischte sie. »Er ist Zuhans Sohn! Laßt ihn frei, ihr blutrünstigen Mörder! Laßt uns alle frei! Dies ist Vlahans Werk! Vlahan hat Zuhan ermordet! Ich spreche die Wahrheit! Dies ist ein Komplott, dies ist –«
    Sie brachten sie zum Schweigen, indem sie ihr ein Knäuel Wolle in den Mund stopften, aber Marrah hörte nicht auf, sich zu sträuben und zu zappeln und sich die Handgelenke an den Lederfesseln wundzuscheuern, während sie mit aller Macht versuchte, sich zu befreien, obwohl sie wußte, daß es sinnlos war. Rechts von ihr starrte Dalish blicklos vor sich hin, ihr Gesicht vor Kummer verzerrt. Auch sie trug einen Knebel im Mund. Akoah war nicht geknebelt worden, aber das war auch nicht nötig gewesen. Die kleine Seglerin war in Ohnmacht gefallen, und wenn ihre Fesseln sie nicht an dem Pfahl festgehalten hätten, wäre sie bereits halb in das offene Grab gesunken. Was Stavan betraf, so konnte Marrah nicht viel von seinem Gesicht sehen, doch der Blick, den er ihr zuwarf, erfüllte sie mit ohnmächtigem Haß auf die Männer, die ihn an den Pfosten gebunden hatten. Marrah blickte auf die Nomadenkrieger und dachte, daß sie alles tun würde, um sie zu vernichten, und die Göttin würde verstehen und ihr verzeihen.
    Sie stellte sich gerade vor, wieviel Befriedigung ihr der Tod der Hansi-Krieger verschaffen würde, als sie ein hohes, schrilles Wehklagen hörte und Changar erschien, während er neun Frauen hinter sich herzog, die an den Hälsen zusammengebunden waren wie Pferde. Der Wahrsager bot einen beeindruckenden Anblick, er war von Kopf bis Fuß in Wolfspelze gehüllt, sein Gesicht mit Ocker bestäubt, seine Augen mit weißer Farbe umrandet, die Hände blutrot bemalt. Als er das Seil verdrehte und die zu Tode erschrockenen Frauen vorwärtszerrte, sang er ein grimmiges Lied darüber, welch wunderschöner Tod den Sklavinnen bevorstand, und die Krieger antworteten im Chor und schlugen im Rhythmus mit ihren Speeren auf den Boden.
    Das Singen und Stampfen schien die armen Frauen noch mehr in Angst und Schrecken zu versetzen. Sie klammerten sich aneinander und flehten weinend um Gnade, doch niemand kümmerte sich um sie. Die jüngste war ein Tcvali-Mädchen von vielleicht zwölf Jahren, die älteste eine Hansi-Frau mittleren Alters, doch weder Alter noch Schönheit würden sie retten, und die Zuschauer wußten es.
    Marrah empfand Mitleid für sie. Sie würden alle sterben, sie selbst und Dalish und Akoah und Stavan und die Sklavinnen, aber ohne Mut zu sterben, zitternd und vor Angst wimmernd wie ein gefangenes Kaninchen zu sterben, war besonders grauenhaft. Sie wünschte, sie hätte eine Möglichkeit, ihnen zu sagen, daß die Göttin barmherzig war und sie nicht lange leiden
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