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Also sprach GOLEM

Also sprach GOLEM

Titel: Also sprach GOLEM
Autoren: Stanislaw Lem
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Kindern leben müßte, würde am Ende eine schmerzliche Einsamkeit empfinden. Solche Vergleiche wurden vor allem von Psychologen im Hinblick auf GOLEMs Existenz unter uns geäußert. Diese Analogie hat jedoch, wie wohl jede, ihre Grenzen. Während das Kind in der Regel für den Erwachsenen unbegreiflich ist, kennt GOLEM solche Probleme nicht. Er kann, wenn er will, seinen Gesprächspartner auf eine unheimliche Weise durchdringen. Das Gefühl einer regelrechten »Durchleuchtung des Geistes«, das man dann empfindet, ist geradezu lähmend. GOLEM vermag nämlich ein »Schrittmachersystem« herzustellen – ein Modell der geistigen Prozesse seines menschlichen Partners, und er kann damit vorhersehen, was dieser Mensch einige Zeit später denken und sagen wird. Allerdings handelt er selten so (ich weiß nicht, ob nur deshalb, weil er weiß, wiesehr uns diese pseudotelepathischen Sondierungen frustrieren). Ein anderer Aspekt von GOLEMs Zurückhaltung macht uns mehr zu schaffen: In der Kommunikation mit Menschen beobachtet er seit langem, anders als am Anfang, eine bestimmte Vorsicht; wie ein dressierter Elefant darauf achten muß, daß er dem Menschen beim Spiel keinen Schaden zufügt, so muß er achtgeben, unser Begriffsvermögen nicht zu überschreiten. Früher, als er sich noch nicht so genau auf uns eingestellt hatte, war ein Abbrechen des Kontakts, bedingt durch ein plötzliches Anwachsen des Schwierigkeitsgrades seiner Aussagen, an der Tagesordnung; wir sprachen dann von einer »Verflüchtigung« oder einer »Flucht« GOLEMs. Das ist inzwischen Vergangenheit, doch ist in den Kontakten GOLEMs mit uns eine gewisse Gleichgültigkeit spürbar geworden, die dem Bewußtsein entspringt, daß er uns viele, für ihn äußerst wichtige Dinge ohnehin nicht vermitteln kann. So bleibt GOLEM denn auch als Geist unfaßbar, und nicht nur als psychonische Konstruktion. Aus diesem Grunde sind die Kontakte mit ihm ebenso faszinierend wie quälend, ein Umstand, der eine bestimmte Art von aufgeklärten Menschen in den Sitzungen mit GOLEM aus der Fassung bringt; auch in dieser Hinsicht haben wir schon eine Menge Erfahrungen gesammelt.
    Das einzige Wesen, das GOLEM zu interessieren vermag, scheint HONEST ANNIE zu sein. Er hat, nachdem das technisch ermöglicht worden war, mehrfach versucht, mit ANNIE in Verbindung zu treten, und wie es scheint, nicht ohne gewisse Ergebnisse, doch ist es zwischen diesen beiden, ihrem Bau nach äußerst unterschiedlichen Maschinen nie zu einem Informationsaustausch über den Sprachkanal (d. h. über die natürliche ethnische Sprache) gekommen. Nach GOLEMs lakonischenBemerkungen zu urteilen, war er von den Ergebnissen dieser Versuche eher enttäuscht, doch bleibt ANNIE für ihn ein nicht völlig gelöstes Problem.
    Einige Mitarbeiter des MIT sind, ähnlich wie Professor Norman Escobar vom Institute for Advanced Studies, der Meinung, daß der Mensch, GOLEM und ANNIE drei hierarchisch aufsteigende Niveaus des Intellekts darstellen; das hängt mit der (vor allem von GOLEM geschaffenen) Theorie der hohen (übermenschlichen) Sprachen zusammen, der sogenannten Metasprachen. In dieser Frage habe ich mir, wie ich gestehen muß, kein endgültiges Urteil gebildet.
    Ich möchte diese ihrer Intention nach objektive Einführung ausnahmsweise mit einem persönlichen Geständnis beschließen. GOLEM fehlen grundsätzlich die für den Menschen typischen affektiven Zentren, so daß er eigentlich kein Gefühlsleben besitzt und folglich außerstande ist, spontan Gefühle zu äußern. Gewiß kann er beliebige Gefühlszustände imitieren – nicht durch Schauspielerei, sondern, wie er selbst behauptet, deshalb, weil simulierte Gefühle es erleichtern, eine Aussage so zu gestalten, daß sie möglichst genau ihre Adressaten erreicht. Also benützt er diesen Mechanismus und pegelt sich gewissermaßen auf das »anthropozentrische Niveau« ein, um eine möglichst gute Kommunikation mit uns herzustellen. Übrigens verhehlt er diesen Sachverhalt durchaus nicht. Wenn sein Verhältnis zu uns ein wenig an das Verhältnis von Lehrer und Schüler erinnert, dann gibt es darin nichts von der Haltung eines wohlwollenden Beschützers, eines Erziehers – und erst recht keine Spur von ganz und gar individuellen, persönlichen Gefühlen, aus einer Sphäre, wo aus Wohlwollen Freundschaft oder Liebe werden kann.
    Er und wir haben nur ein einziges Merkmal gemeinsam,wenn es auch in ungleichem Maße entwickelt ist. Es ist dies die Neugier, eine rein
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