Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Also sprach GOLEM

Also sprach GOLEM

Titel: Also sprach GOLEM Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
ihrer viele. Das Loch bedeutet eine Gefahr, aber auch eine Chance: Ihr habt es, um zu überleben, mit Kulturen ausgefüllt. Die Kultur ist ein ungewöhnliches Instrument, denn sie stellt eine Entdeckung dar, die, wenn sie wirksam sein soll, vor ihren Schöpfern verborgen bleiben muß. Sie ist eine Erfindung, die unwissentlich gemacht wurde und nur solange voll wirksam ist, wie ihre Erfinder sie nicht vollends durchschaut haben. Ihre Paradoxie besteht darin, daß sie, sobald sie durchschaut wird, zusammenbricht; ihr seid zwar ihre Urheber, doch habt ihr eure Urheberschaft sogleich verleugnet; im Eolithikum hat es keine Seminare darüber gegeben, ob man das Paläolithikum schaffen soll; daß die Kultur zu euch kam, habt ihr Dämonen, Elementen, Geistern, Kräften des Himmels und der Erde zugeschrieben – nur nicht euch selbst. Ihr habt somit das Rationale – das Ausfüllen der Leere durch Ziele, Kodexe und Werte – auf irrationale Weise getan und all eure realen Schritte surreal begründet; wenn ihr jagtet, webtet und bautet, habt ihr euch feierlich eingeredet,das alles komme nicht von euch, sondern aus unerforschlichen Quellen. Ein merkwürdiges Instrument – rational gerade in seiner Irrationalität, denn es verlieh den menschlichen Institutionen übermenschliche Würde, so daß sie unantastbar wurden und absoluten Gehorsam erzwangen; weil man aber die Leere, den Mangel mit den unterschiedlichsten Bestimmungen auffüllen kann und sich die unterschiedlichsten Ordnungen dazu eignen, habt ihr im Laufe eurer Geschichte eine Unzahl von Kulturen, von unwissentlichen Erfindungen geschaffen. Ihr habt sie unwissentlich und absichtslos im Widerspruch zur Vernunft geschaffen, denn das Loch war weit größer als das, womit ihr es ausfülltet; Freiheit hattet ihr im Übermaß, weit mehr als Vernunft, und so habt ihr euch denn dieser Freiheit, die euch als Luxus, als Beliebigkeit, als Sinnlosigkeit erschien, entledigt – mit Hilfe der Kulturen, die in Jahrtausenden erstanden.
    Den Schlüssel zu dem, was ich jetzt sage, bilden die Worte: Es gab mehr Freiheit als Vernunft. Ihr mußtet all das, was Tiere von Geburt an können, für euch erfinden, aber die Besonderheit eures Weges liegt darin, daß ihr Erfindungen machtet und dabei behauptetet, nichts zu erfinden.
    Die Anthropologen unter euch wissen inzwischen, daß man unzählige Kulturen schaffen kann – und in der Tat wurden unzählige geschaffen –, daß jede von ihnen die Logik ihrer eigenen Struktur, nicht aber die ihrer Urheber aufweist, denn die Kultur ist eine Erfindung, die auf ihre Weise ihre eigenen Erfinder prägt, die davon aber nichts wissen, doch wenn sie es erfahren, verliert diese Erfindung ihre absolute Macht über sie, und sie blicken in eine gähnende Leere, und gerade dieser Widerspruch ist die Grundlage des menschlichen Wesens. Er hat euch über Hunderttausende von Jahren mit Kulturen versorgt, die den Menschen bald fest umklammerten,bald wieder ihren Zugriff lockerten, in einem selbsttätigen Entwicklungsprozeß, der, solange er blind verlief, unanfechtbar war, bis ihr, die Kulturen anhand ethnologischer Kataloge miteinander vergleichend, ihre Verschiedenheit erkanntet und damit auch ihre Relativität; ihr habt dann begonnen, euch von den Fesseln der Gebote und Verbote zu befreien, und schließlich habt ihr sie abgestreift, was natürlich fast zu einer Katastrophe wurde. Ihr erkanntet nämlich, daß jede Kultur, da sie nicht die einzige ist, etwas völlig Beliebiges hat, und seither versucht ihr, etwas zu entdecken, was anders ist als eure bisherige Schicksalsbahn, die sich blindlings verwirklichte, aus Serien von Zufällen bestand und durch die Lotterie der Geschichte bestimmt war – aber natürlich gibt es nichts dergleichen. Das Loch ist noch immer da, ihr steht auf halbem Wege, von eurer Entdeckung gelähmt, und diejenigen unter euch, die sich verzweifelt nach der holden Unwissenheit in der Knechtschaft der Kultur zurücksehnen, verlangen laut, man möge dorthin, zu den Quellen, zurückkehren, doch ihr könnt nicht zurück, der Rückweg ist abgeschnitten, die Brücken sind verbrannt, und so müßt ihr vorwärts gehen – auch davon wird noch die Rede sein.
    Gibt es hier einen Schuldigen, kann man hier jemanden anklagen für diese Nemesis, für die Qualen der Vernunft, die ein Netz von Kulturen aus sich hervorspann, um die Leere auszufüllen, um in dieser Leere Wege und Ziele abzustecken, um Werte, Gradienten und Ideale zu bestimmen – die also auf

Weitere Kostenlose Bücher