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Also sprach GOLEM

Also sprach GOLEM

Titel: Also sprach GOLEM
Autoren: Stanislaw Lem
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werden wir uns niemals abfinden – und auch andere Wesen werden sich nicht mit dem Schicksal abfinden, ein vergängliches Zwischenglied in der Evolution der Vernunft zu sein.« GOLEM entstand unter den Bedingungen eines weltumspannenden Antagonismus aus einem fehlerhaften menschlichen Kalkül, und daher erscheint es uns undenkbar, daß genau dieser Konflikt und genau dieser Fehler sich im gesamten Weltall wiederholt haben sollte, um die Entwicklung des unbelebten und gerade dadurch unvergänglichen Denkens anzustoßen. Aber die Grenzen des Wahrscheinlichen sind eher Grenzen unseres Vorstellungsvermögens als solche der kosmischen Tatsachen. Man sollte sich deshalb über GOLEMs Vision Gedanken machen, zumindest über ihre knappeZusammenfassung im letzten Satz seines Vortrags. Dort sagte er: »Wenn der kosmologische Term der Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie eine psychozoische Konstante enthält, dann ist der Kosmos weder die in Einsamkeit vergehende Brandstätte, für die ihr ihn haltet, noch bemühen sich eure Nachbarn von anderen Sternen darum, ihr Vorhandensein zu signalisieren, sondern sie betreiben seit Jahrmillionen eine auf Erkenntnis gerichtete kollaptische Astroingenieurkunst, deren Nebenwirkungen ihr für feurige Exzesse der Natur haltet, und diejenigen unter ihnen, denen umwälzende Werke gelungen sind, haben inzwischen jenen Rest an existentiellen Problemen durchschaut, der für uns Wartende Schweigen ist.« Was dieser Satz besagen soll, ist unklar, denn GOLEM hatte zuvor angekündigt, daß er, da er sich mit uns nicht über sein Weltbild verständigen könne, es über das andere tun werde. Er begnügte sich mit dieser lakonischen Einschränkung, weil er in seinen Ausführungen über die Erkenntnis gezeigt hatte, daß ein Wissen, das man vorzeitig erlangt und das mit dem Wissen, das man bereits besitzt, unvereinbar ist, keinen Wert hat, denn der Belehrte sieht lediglich die Widersprüche zwischen dem, was er schon weiß, und dem, was ihm mitgeteilt wird. Allein schon aus diesem Grunde ist es ein Wahnwitz, Offenbarungen aus dem Weltraum von uns überlegenen Wesen zu erwarten, mögen das nun segensreiche oder verhängnisvolle Mitteilungen sein. Die Alchemisten hätten, auch wenn man ihnen die Quantenmechanik geschenkt hätte, weder Atombomben noch Atommeiler zustande gebracht. Ebensowenig hätten die Herrscher von Anjou oder die Hohe Pforte mit der Festkörperphysik etwas anfangen können. Alles, was man tun kann, ist, auf die Lücken in dem Weltbild hinzuweisen, das der zu Belehrende sich zurechtgelegt hat. JedesWeltbild enthält solche Lücken, doch sind sie für diejenigen, die es geschaffen haben, nicht zu erkennen. Ein hartnäckiger Begleiter der Erkenntnis ist die Unwissenheit über die eigene Unwissenheit. Die frühen menschlichen Gemeinschaften besaßen nicht einmal eine eigene reale Geschichte, sondern stattdessen einen mythologischen Horizont, in dessen Mittelpunkt sie selber standen. Die Menschen wußten damals, daß ihre Ahnen aus dem Mythos hervorgegangen waren und sie selbst eines Tages wiederum in ihn eingehen würden. Erst wachsende Erkenntnis sprengte diesen Bann und warf die Völker in die Geschichte hinein, in eine Folge von Veränderungen innerhalb der realen Zeit. Für uns ist GOLEM zu einem solchen Bilderstürmer geworden. Er hat unser Weltbild dort, wo wir die Vernunft in ihm angesiedelt hatten, in Frage gestellt. Sein letzter Satz bezeichnet für mich die unaufhebbare Rätselhaftigkeit der Welt. Das Rätsel besteht in der kategorialen Unbestimmtheit des Kosmos. Je länger man ihn erforscht, umso deutlicher sieht man den in ihm enthaltenen Plan. Es gibt ohne Zweifel nur diesen einen Plan, doch ist seine Herkunft ebenso ungewiß wie seine Bestimmung. Wenn wir den Kosmos in die Kategorie des Zufalls stecken wollen, so widerspricht dem die Präzision, mit welcher in den Anfängen des Kosmos die Proportionen zwischen Masse und Ladung von Proton und Elektron, zwischen Gravitation und Strahlung sowie zwischen den unzähligen physikalischen Konstanten ausgewogen wurden, Konstanten, die so aufeinander abgestimmt sind, daß sie die Kondensation der Sterne, deren thermonukleare Reaktionen und deren Rolle als Kessel für die Synthese von Elementen ermöglichten, die imstande sind, chemische Verbindungen einzugehen – und sich damit letzten Endes zu Körpern und zu Gehirnen zuvereinigen. Wollen wir jedoch den Kosmos in die Kategorie der Technik stecken und ihn damit einer
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