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Also sprach GOLEM

Also sprach GOLEM

Titel: Also sprach GOLEM
Autoren: Stanislaw Lem
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Leistungssteigerung eines Intellekts muß nach dieser Idee mit dessen kurzer Lebensdauer bezahlt werden. Dies war ein Ansatz zu einer Psychopathologie der maschinellen Intelligenz. Danach war alles, was GOLEM über die Toposophie gesagt hatte, paranoides Geschwätz. Wissenschaftliche Kommentatoren beeilten sich, im Fernsehen zu erklären, daß GOLEM sich bei seiner letzten Vorlesung bereits im Stadium des Zerfalls befunden habe. Die echten Wissenschaftler, die solche Ammenmärchen hätten widerlegen können, schwiegen sich aus. Am meisten wußten solche über GOLEM zu sagen, die er niemals an sich herangelassen hatte. Zusammen mit Creve und anderen Kollegen haben wir überlegt, ob man nicht diesem Schwall von Dummheiten entgegentreten solle, doch wir ließen es sein, weil auf Tatsachen begründete Argumente längst nicht mehr zählten. Zu Bestsellern wurden solche Bücher, die nichts über GOLEM, dafür aber alles über die Ignoranz ihrer Autoren verrieten. Authentisch war daran nur der ihnen gemeinsame Ton unverhohlener Befriedigung darüber, daß GOLEM mit seiner erdrückenden Überlegenheit verschwunden war, so daß man nun den Ressentiments, die er hervorgerufen hatte, freien Lauf lassen konnte. Während ich mich darüber nicht im geringsten wunderte, machte mich das Schweigen der wissenschaftlichen Welt nachdenklich. Nach einem Jahr ging die Flut sensationslüsterner Fälschungen, die in Dutzenden von entsetzlich dummen Filmen über das »Ungeheuer von Massachusetts« gipfelte, schließlich zurück. Es erschienen erste Arbeiten, die noch immer kritisch waren, denen aber die aggressive Inkompetenz jener Filme fehlte. Was man gegen die letzte Vorlesung einzuwenden hatte, warenvor allem drei Dinge. Erstens war der Eifer, mit dem GOLEM das Gefühlsleben der Menschen und besonders die Liebe attackierte, angeblich irrational. Ferner sollten die Ausführungen über die Stellung der Vernunft im Weltall inkohärent und widerspruchsvoll sein. Schließlich wandte man gegen diese Vorlesung ein, sie sei aus dem Takt geraten – wie ein Film, den man zunächst langsam und dann mit ständig wachsender Beschleunigung ablaufen läßt. GOLEM habe sich zunächst des langen und breiten über entbehrliche Einzelheiten ausgelassen, ja sogar Teile aus seiner ersten Vorlesung wiederholt, gegen Ende aber habe er unzulässige Abkürzungen genommen und Dinge, die einer ausführlichen Besprechung bedurft hätten, mit allgemeinen Floskeln in einem Satz erledigt.
    Diese Einwände waren zugleich begründet und unbegründet. Begründet waren sie, falls man die Vorlesung isoliert von allem, was vorher und nachher geschah, betrachtet. Sie waren jedoch unbegründet, weil GOLEM gerade das in seinen Auftritt mit einbezogen hatte. Zudem hatte er in seinen Äußerungen zwei verschiedene Motive miteinander verknüpft. Einmal hatte er sich an alle gewandt, die im Saal des Instituts anwesend waren, und dann wieder nur an einen einzelnen Menschen. Das war Creve. Ich erkannte das schon während des Vortrags, denn ich wußte von dem Streit über die Natur der Welt, den Creve während unserer nächtlichen Gespräche GOLEM hatte aufzwingen wollen. Ich hätte daher das Mißverständnis, das aus diesem Doppelcharakter herrührte, anschließend aufklären können, habe es jedoch nicht getan, weil Creve es nicht wünschte. Ich konnte das verstehen. GOLEM hat den Dialog nicht so unvermittelt abgebrochen, wie es Fremden erscheinen mochte. Das zu wissen, ist für Creve – und auch fürmich – in jener schweren Zeit ein stiller Trost gewesen. Gleichwohl haben anfangs weder Creve noch ich den Doppelcharakter dieser Vorlesung voll erkennen können. Auch diejenigen, die bereit waren, das in GOLEMs Anthropologie zentrale Konstruktionsprinzip des Menschen anzuerkennen, fühlten sich getroffen durch seinen Angriff auf die Liebe, die er darstellte als eine »Maske der Steuerung durch Empfindungen«, mit deren Hilfe die Molekularchemie uns zum Gehorsam zwingt. Er hat jedoch, als er das sagte, gleichzeitig gesagt, daß er jede gefühlsmäßige Anhänglichkeit zurückweise, weil er sie nicht in gleicher Münze vergelten könne. Hätte er sie gezeigt, so wäre das nichts anderes gewesen als ein Nachahmen der Gebräuche des Gastgebers durch einen Fremden, also im Grunde ein Betrug. Aus diesem Grunde hat er sich auch so ausführlich über sein unpersönliches Wesen und über unser Bestreben ausgelassen, ihn um jeden Preis zu vermenschlichen. Weil uns dieses Bestreben hinderte,
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