Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Titel: Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand
Autoren: Joern Klare
Vom Netzwerk:
diese Struktur ganz früh verloren. Und daher kommen auch die Schuldzuweisungen. Der Schlüssel ist weg … Dann hat ihn einer genommen! Mein Portemonnaie ist weg … Hier klaut einer!
    Das führe immer wieder, so Nehen, zu bitteren Vorwürfen, schrecklichen Streitereien und viel zu oft in die soziale Katastrophe.
    – Wir haben vor Kurzem hier einen Mann diagnostiziert, der vor nicht allzu langer Zeit geschieden wurde. Da kam dann die Frau zu mir … »Mein Gott, der ist ja dement. Wenn ich das gewusst hätte! Was hätten wir alles vermeiden können …«
    Für einen langen Moment ist es still im Raum. Dann sagt Nehen, dass man sich vor allem als Angehöriger vor der Demenz nicht verstecken darf. Und davonlaufen solle man auch nicht.
    – Das ist diese unheilige Allianz – der Patient ahnt, dass es etwas Schlimmes ist, und die Angehörigen denken: »Um Gottes willen, das wird es doch nicht sein!« Und beide verdrängen, beide wollen es nicht wahrhaben.
    Das kommt mir bekannt vor. Wichtig ist eine saubere Diagnose, sagt Nehen, und Zeit, sie zu verdauen. Gerade für die Angehörigen.
    – Das kann verdammt lange dauern.
    – Und dann?
    – Dann kommt der zweite Schritt. Die Kommunikation mit dem Betroffenen läuft jetzt nicht mehr auf der Ebene des Verstandes, sondern fast nur noch auf der emotionalen Ebene ab.
    Ich suche für mich nach Bildern für diese Kommunikation auf emotionaler Ebene. Nehen hilft mit einem Beispiel.
    – Nehmen Sie einen Mann, der mit seiner Frau einen Krimi im Fernsehen sieht und plötzlich sagt, dass er nach Hause will. »Das hier ist doch dein Zuhause«, sagt seine Frau. So kommen die aber nicht weiter. Es geht darum, dass der Mann Angst hat. Dem Krimi kann er ohnehin nicht mehr folgen. Aber es wird dunkel, er ist überfordert und fragt sich, was da gerade um ihn herum passiert. Im Grunde sucht er Geborgenheit. Und für diese Geborgenheit, die er sucht, steht dieses »nach Hause«. Und was bekommt er, wenn er das äußert? Die Ansage, dass er alles vergisst!
    Besser wäre es, sagt Nehen, den Betroffenen in so einer Situation zur Entspannung einfach in den Arm zu nehmen.
    – Auf der rationalen Ebene können Sie bei einem Demenzpatienten genau gar nichts erreichen.

Erinnerungen III
    »Haben deine Eltern sich in irgendeiner Form politisch betätigt?«
    »Nein. Da war mein Vater auch nicht der Richtige für. Der war eigentlich ein lustiger Mann, der keine Probleme haben wollte. Bei uns zu Hause hatte Mutti alles in der Hand. Papa kriegte sein Geld in einer Lohntüte, gab es bei Mutti ab und kriegte zehn Mark für Tabak oder so was. Das wollte der aber auch so, der hatte keine Lust, Verantwortung zu übernehmen. Ich weiß, dass Mutti oft sagte: ›Ach, wenn ich nur einmal auch so mit nichts was zu tun hätte!‹ Sie musste das alles einteilen. Mir ist auch jetzt mal eingefallen: Ich hab da Akkordeon-Unterricht gehabt, die Stunde kostete zwei Mark. Die lagen immer in einem Mokka-Tässchen im Küchenschrank, damit die ja da waren, wenn der Lehrer kam. Das war schon alles recht knapp bei uns. Damals wurde auch nicht so viel verdient. Papa hat auch oft Überstunden gemacht. Als er dann bei der Stadt arbeitete, da kriegten die schon Kindergeld. Das war was Besonderes.«
    »Wie war das mit deinen Brüdern?«
    »Joachim ist 44 geboren und Günther 47. 1944 war ja noch Krieg. Das war schlimm. Wir hatten viele Luftangriffe. Die zielten vor allem auf Dortmund, aber wir bekamen auch Bomben ab und mussten dann immer in den Bunker rennen.«
    »Wie weit war das?«
    »Fünf Minuten. Ich bin ja gerannt wie so eine Wilde, Stühlchen an der Hand und weg. Joachim haben wir mitgenommen. Der schrie immer in dem Bunker und wurde ganz blau. Und da haben wir erst gemerkt, dass der was am Herzen hatte. Der konnte dann nicht mehr mit, und meine Mutter ist mit ihm zu Hause geblieben. Ihr Vater auch. Aber mir war alles egal. Ich hatte solch eine Angst vor dem Lärm und dem Krach. Meiner Oma war genauso bang. Sobald die Sirenen gingen, rannte die mit mir los. Anfangs sind wir ja noch immer bei uns im Keller geblieben. Das war manchmal sogar ganz lustig. Da saßen wir alle zusammen und hatten diese Petroleum-Lampe unten stehen, und dann holte jeder mal ein Glas eingemachtes Obst. Da haben wir gesessen und erzählt, von früher, oder was wir machen würden, wenn mal kein Krieg mehr ist. Eigentlich passierte ja nicht viel. Einmal aber gab es einen Einschlag. Joachim war in eine Decke gehüllt und wurde fast von einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher