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Als Helmut Schmidt einmal ...: Kleine Geschichten über einen großen Mann (German Edition)

Als Helmut Schmidt einmal ...: Kleine Geschichten über einen großen Mann (German Edition)

Titel: Als Helmut Schmidt einmal ...: Kleine Geschichten über einen großen Mann (German Edition)
Autoren: Jost Kaiser
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die Truppe gibt keine Ruhe. Eine Kommission stellt Ekliges fest – der Bund ist mit langen Haaren noch weniger kampfbereit als sowieso schon: »Das Auftreten von Hauterkrankungen, insbesondere Infektionen und Parasitenbefall« werde begünstigt, Akne-Pusteln der Soldaten würden »beim Tragen von Bärten und langen Haaren besser verbreitet werden«.
    Die Bundeswehr – ein Krankheitsherd?
    So kommt es, dass Schmidt seinen Haarnetzerlass wieder zurücknehmen muss. Neue Vorgabe: Die Haare der Landser dürfen nicht über den Kragen, nicht über die Augen und nicht über die Ohren reichen.
    Ein Soldat mit Matte kommt über den Haarschneidebefehl nicht hinweg: »Ich wollte sterben, als ich das hörte.«
    Die Frisuren waren der Ernstfall, in Deutschland 1972.

Als Helmut Schmidt einmal …
    … schon um 21.41 Uhr nach Hause kam
    Wenn der Kanzler nach Hause kommt, verrät Loki im Juni 1975 der Presse, geht er erst an den Kühlschrank und isst eine große Packung Eis. Dann wird Schach und danach noch mehrere Runden Tischtennis gespielt. Doch es ist der 1. Oktober 1982 – der Kanzler heißt ab heute Kohl. »Herr Doktor Kohl«, wie Schmidt den Mann aus der Pfalz mit größtmöglicher Verachtung anredet.
    Schmidt kommt diesmal nicht wie üblich um Mitternacht nach Hause, sondern erscheint Punkt 21.41 Uhr. Und zwar in Hamburg-Langenhorn, Neuberger Weg, statt in Bonn vorm Kanzlerbungalow – da hat er noch drei Monate Kündigungsfrist.
    Loki ist nicht da. Die ist in Brasilien.
    Dafür sind neben den Sicherheitsbeamten einige Nachbarn und Schmidt-Fans da. »Ich habe den ganzen Tag vor dem Fernseher gesessen«, erzählt Nachbarin Astrid Wucke, die eine Nelke mit dabeihat. »Ich hab ihn zwar nicht gewählt, aber er tut mir leid.«
    So geht es ganz Deutschland. Man spricht vom »Schmidtleidseffekt«. Die Stimmung ist ungefähr so: Deutschland ohne Schmidt – irgendwie geht das vielleicht. Aber dass Deutschland deshalb automatisch von Kohl regiert wird – warum hat man uns das vorher nicht gesagt?
    Das nennt man zwar »konstruktives Misstrauensvotum«, aber als sehr konstruktiv sehen das die meisten Deutschen nicht, wenn das Ergebnis der Dicke aus der Pfalz ist.
    Das letzte Mal, als ein sozialdemokratischer Kanzler ging, weinte Egon Bahr über den Rücktritt Willy Brandts. Deutschland verlor einen Messias. Später gab es sogar eine Oper über Willy.
    Heute, hier in Langenhorn, gibt es Gemüsesaft.
    »Ich will mich bedanken für die Arbeit, die er für uns gemacht hat«, sagt ein vierundzwanzigjähriger Student. Er überreicht dem Kanzler eine Flasche Tomatensaft für 1,99 Mark. »Bitte, Herr Schmidt, zur Erfrischung.«
    »Das ist ja fabelhaft«, sagt Schmidt und geht ins Haus.

Als Helmut Schmidt einmal …
    … Hamburg zur heimlichen Hauptstadt machte
    1985. Die deutsche Hauptstadt heißt Bonn – für viele ein Irrtum der Geschichte. Die alte Hauptstadt Berlin ist geteilt, ist Preußens Grab und wird im subventionierten Westteil vor allem von jungen Menschen bevölkert, die Helmut Schmidt einmal als »halbfertige Akademiker« bezeichnet hat. Und dann gibt es noch die »heimliche Hauptstadt« München, die das Hamburger Magazin Der Spiegel schon in den Sechzigerjahren als solche ausgerufen hat.
    Und Hamburg? Man kann sagen, dass die Hansestadt 1985 nicht gerade die beste Phase durchmacht. »Meine schlafende Schöne« nennt sie Helmut Schmidt. »Langweilig« sagen alle anderen dazu, die das Aufregende an Pöseldorf immer noch nicht verstanden haben.
    Doch Hamburgs Versinken in Langeweile und Ödnis wird gerade noch abgewendet. Denn da ist ein Mann vor: Helmut Schmidt. Er bringt ein bisschen Glanz in die Bude. Die Bude steht in Hamburg-Langenhorn, und der Glanz färbt auf die ganze Stadt ab, die wenigstens tageweise zur heimlichen Hauptstadt wird. Und das geht so:
    29. August 1985. Helmut Schmidt steht am Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel, dessen Empfangsgebäude an die Architektur einer Badeanstalt erinnert.
    »Hi, Jerry, wie geht’s?«
    Jerry ist gerade aus der PanAm-747 »Clipper Ocean Herald« geklettert. »Jerry« ist Schmidts Lieblingspolitiker Gerald Ford, der nach Hamburg gekommen ist und drei Tage bei den Schmidts im Reihenhaus wohnt. Eine Art Superstaatsmann-WG auf Zeit. Betreutes Wohnen: Allein achtzehn Secret-Service-Männer sind mit von der Partie.
    »Wonderful to see you«, erwidert Ford und steigt mit Schmidt in einen der drei gepanzerten Mercedes mit dem Kennzeichen HH-XW 648. Die aus neun Fahrzeugen bestehende
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