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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern
Autoren: Kirsten Winkelmann
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Dort hatte ihr Wagen die Leitplanke durchschlagen und war etwa zwanzig Meter in die Tiefe gestürzt. „Kannst du dich daran erinnern?“
    Ihr Gegenüber riss entsetzt die Augen auf.
    „Vergiss es!“, ruderte Karen zurück. „Lass … lass uns über etwas anderes sprechen …“
    Die Augen der Patientin begannen hektisch hin und her zu wandern. Karen konnte ihre wachsende Unruhe beinahe körperlich spüren. „Das Mittagessen“, versuchte sie sie abzulenken. „Es wird ja ganz kalt. Komm, wir essen was!“ Sie sprang auf und entfernte die Abdeckung des Tabletts.

Kapitel 3
    „Irgendetwas stimmt nicht mit ihr!“ Karen klang atemlos. Sie erklomm zusammen mit Arvin die Stufen des Treppenhauses. Außerdem redete sie nun schon seit geraumer Zeit verzweifelt auf ihn ein. Es war Samstag und damit einer der beiden Tage, an denen Arvin sie bei ihren Krankenbesuchen immer begleitete.
    „Du hast die Ärzte gehört“, entgegnete Arvin. Im Gegensatz zu seiner Schwester atmete er völlig normal, was wohl daran lag, dass er seit Jahren joggen ging und dementsprechend fit war. „In den vergangenen beiden Wochen ist sie dreimal operiert worden. Drei Vollnarkosen. Und das in ihrem Zustand. So was schlaucht nun mal.“
    Karen blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften. „Im Gegensatz zu dir, Arvin“, hielt sie ihm vor, „besuche ich sie jeden Tag. Und deshalb wage ich zu behaupten, dass es nichts mit den Operationen zu tun hat. Es begann … ich weiß auch nicht mehr genau, wann das war … irgendwie schleichend und an irgendeinem Punkt, den ich nicht mehr datieren kann!“
    Arvin registrierte erst jetzt, dass Karen stehen geblieben war, und folgte ihrem Beispiel. Als er sich jetzt zu ihr umdrehte, stand er einige Stufen über ihr. Da er ohnehin sehr groß und kräftig war, wirkte er auf Karen wie ein Bär. Dabei war er doch ihr kleiner Bruder und erst neunundzwanzig! „Vielleicht schafft sie es nicht, Karen. Du solltest diese Möglichkeit zumindest in Betracht ziehen.“
    „Das habe ich“, fauchte Karen. „Jedenfalls damals, als sie in Lebensgefahr schwebte. Aber jetzt …“– ihre Stimme glitt ins Weinerliche ab – „jetzt ist sie doch über den Berg!“
    Arvin zuckte die Achseln. „Du hast mir selbst erzählt, was in den Krankenhäusern abgeht“, sagte er müde. „Erst heißt es, sie sind außer Lebensgefahr und dann sterben sie an irgendeiner x-beliebigen Infektion. Krankenhäuser sind regelrechte Brutstätten für die gefährlichsten Keime und Bakterien. Schon allein der Aufenthalt darin ist lebensgefährlich.“
    „Aber Livia zeigt keine Anzeichen für eine Infektion“, beharrte Karen. „Sie hat nicht einmal Fieber.“
    Arvin hob ratlos die Hände. Dabei raschelte der Strauß Blumen, den er bei sich trug. „Vielleicht ist sie zu schwach, um Fieber zu entwickeln.“
    Karen verschränkte die Arme vor der Brust. Gleichzeitig nahm ihr Gesicht einen kampflustigen Ausdruck an. „Wie kannst du nur so gleichgültig sein, Arvin?“, griff sie ihren Bruder an. „Das begreife ich nicht.“
    Arvin schluckte, hielt ihrem Blick aber stand. „Ich bin nicht für sie verantwortlich“, knurrte er, „nicht mehr jedenfalls.“
    Angesichts dieser Antwort bildete sich ein mitleidiger Ausdruck auf Karens Gesicht. Als sie das nächste Mal sprach, klang es sanft und zärtlich: „Sicher?“
    „Ja, sicher“, bellte Arvin, wirbelte herum und flüchtete vor seiner Schwester die Treppe hinauf.
    ❧
    Als die beiden kurz darauf das Krankenzimmer betraten, standen die letzten Worte immer noch zwischen ihnen.
    Die Patientin trug nichts dazu bei, dass sich diese Stimmung veränderte. Sie lag apathisch in ihrem Bett und reagierte überhaupt nicht auf ihren Besuch. Nicht einmal, als Karen sie ansprach, zeigte sie eine Reaktion.
    „Du hast nicht übertrieben“, bemerkte Arvin.
    Karen legte ihre Hand auf Livias Stirn und rief damit zumindest ein leises Stöhnen bei ihr hervor. „Sie ist schweißgebadet“, flüsterte sie Arvin zu.
    „So geht das nicht weiter“, seufzte Arvin. „Ich hole einen Arzt.“
    „Ich gehe“, entgegnete Karen. Ihr Gesichtsausdruck spiegelte Entschlossenheit, aber auch tiefe Sorge wider. „Und ich werde jemanden holen, der Ahnung hat.“ Sie warf einen letzten Blick auf Livia, riss sich dann los und stürmte eilig in Richtung Tür.
    Als sie gegangen war, entstand eine beunruhigende Stille in dem kleinen Raum. Abgesehen von den leicht rasselnden Atemzügen der Patientin war kaum ein Ton zu
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