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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern
Autoren: Kirsten Winkelmann
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Oberfläche des Würfels zählte.
    „Prima“, lobte Karen und streckte ihre Hand nach der gelben Spielfigur aus.
    Aber Livia kam ihr zuvor. „Ich will“, protestierte sie und riss das gelbe Figürchen an sich.
    „Lass das“, schnauzte Vanessa sie an. „Das ist Mamas Spielfigur!“
    Sofort zog Livia ihre Hand zurück. „Tut leid“, rief sie erschrocken. „Tut leid!“
    Karen legte ihre Hand beruhigend auf Livias Arm. „Ist nicht schlimm.“ Sie sprach mit ihrer Schwägerin immer noch wie mit einem kleinen Kind, nicht wie mit einer Frau im Alter von siebenundzwanzig Jahren. Aber das war auch angebracht. Obwohl Livia täglich Fortschritte machte, war sie noch längst nicht auf dem Stand angekommen, den Vanessa mit ihren fünf Jahren erreicht hatte. Die falschen Medikamente hatten sie einfach um Wochen zurückgeworfen.
    „Jetzt würfel endlich“, verlangte Vanessa. Sie war ein niedliches kleines Mädchen mit hellblonden Haaren und zwei neckischen Zöpfen, aus denen sich mittlerweile schon ziemlich viele Haare herausgeschummelt hatten.
    Livia nickte eifrig, griff mit der linken Hand nach dem Würfel und schleuderte ihn so unkoordiniert über den kleinen Tisch, dass er von dort auf den Boden hüpfte.
    Vanessa rollte mit den Augen. „Das war das tausendmillionste Mal heute“, schimpfte sie. „Wann lernst du endlich, dass du nicht so doll würfeln sollst?!“
    „Tut leid“, sagte Livia.
    „Es heißt: Tut mir leid“, korrigierte Vanessa sie altklug.
    „Tut mir leid“, wiederholte Livia artig. Obwohl sie erst kürzlich erneut im Gesicht operiert worden war und bemitleidenswert aussah, ging Vanessa nicht zimperlich mit ihr um. Aber gerade das wirkte, wie Karen festgestellt hatte, äußerst anregend auf Livia. Und so brachte sie Vanessa in letzter Zeit immer häufiger mit hierher.
    Nachdem Vanessa einen abgrundtiefen Seufzer losgelassen hatte, erhob sie sich und ging auf die Knie, um den Würfel zu suchen. „Eine Zwei“, verkündete sie, als sie aus der Versenkung wieder auftauchte.
    Livia nickte, griff dieses Mal nach einer roten Spielfigur und setzte sie vorwärts.
    „Die nicht“, rügte Karen sanft. „Diese Figur darfst du nur setzen, wenn du eine Sechs gewürfelt hast. Nimm doch lieber diese hier.“ Sie deutete auf eine Figur, die sich schon im sicheren Zielgebiet befand, aber noch nicht bis nach vorne vorgerückt war.
    „Gut“, sagte Livia und befolgte den Ratschlag.
    Wieder einmal schüttelte Karen innerlich den Kopf. Vor ihrem Unfall war Livia eine äußerst eigensinnige Person gewesen. Wie war es nur möglich, dass sie jetzt so einfach zu lenken war?
    Derweil kramte Vanessa in ihrer Hosentasche herum. Nach einer Weile beförderte sie eine Packung mit kleinen Traubenzuckerbonbons daraus hervor. „Willst du einen?“, fragte sie Livia und hielt ihr die Packung hin.
    Livia sah kurz zu Karen hinüber und schüttelte dann verschämt den Kopf.
    Karen verstand ihren Blick sofort. Sie hatte Livia eingeschärft, niemals ohne ihre Zustimmung Medikamente einzunehmen. Und das hatte seinen Grund. Irgendwie waren Livia über Wochen hochdosierte Herzmedikamente verabreicht worden, und niemand hatte bisher eine Ahnung, wie das passiert war. Der zuständige Arzt hatte sie jedenfalls nicht verschrieben. Fest stand nur eines: Wenn Dr. Kopp nicht eingegriffen und den Grund für ihren Zustand herausgefunden hätte, wäre sie jetzt definitiv tot. „Das sind keine Tabletten“, lächelte Karen. „Du kannst gerne welche nehmen.“
    Das ließ sich Livia nicht zweimal sagen. Sie griff in die Packung und hätte wohl alle genommen, wenn Vanessa nicht lautstark protestiert hätte. Seit ihrem Unfall war sie geradezu verrückt nach jeder Art von Süßigkeiten. Es war, als würde sie auch in dieser Hinsicht den Stand ihrer geistigen Entwicklung nachvollziehen.

Kapitel 5
    Arvins Schritte wurden mit jedem Meter, den er zurücklegte, langsamer. Er wollte nicht hier sein. Dieses Krankenhaus stieß ihn ab. Es war Karens Gebiet. Nicht seines.
    Aber Vanessa hatte Geburtstag und sich von ihrer Mutter einen ganzen langen Tag im Freizeitpark gewünscht. Und Livia wartete auf Besuch. Das hatte Karen ihm oft genug gesagt.
    Arvin stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus und zwang seine Beine, sich weiter fortzubewegen. Die Station, in der sich Livia befand, hatte er bereits erreicht. Ganz hinten am Ende des Flures konnte er schon ihre Zimmertür sehen.
    Eine Stunde. Das war es, worauf er sich mit seiner Schwester geeinigt hatte. Aber
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