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Als ein Blumenkohl noch zehn Pfennig kostete

Als ein Blumenkohl noch zehn Pfennig kostete

Titel: Als ein Blumenkohl noch zehn Pfennig kostete
Autoren: Claudia Duhonj-Gabersek
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der Bank. Montags und mittwochs, wenn ich morgens zur Arbeit ging, stand er schon da. Immer an derselben Stelle, vorn an der Ecke, gleich neben der Bäckerei.
    Es war ihm anzusehen, dass er wieder Pläne schmiedete, Pläne für unser aller Wohlergehen. Die Adlernase schien zu wachsen und seine grünen Augen schillerten in der Morgensonne. Theo war bereit, zu großen Taten.
    Er lüpfte die Schirmmütze, ich tat ihm gleich. Und wie immer fiel kein Wort.
    So zog ich auch gestern Morgen wieder los, um die Woche im Büro zu verbringen. Nichts Großes, aber halt Arbeit und Brot.
    Als ich an die Ecke kam, war Theo nicht zu sehen. Ich hielt an, stand unter Schock. Das erste Mal seit zweiundzwanzig Jahren kein Theo an der Ecke.
    Ich musste mich sputen, die Bank öffnet um neun, und man lässt die Leute nicht auf ihr Geld warten.
    Nachmittags, auf dem Nachhauseweg, befragte ich ein paar Tratschtanten, aber selbst die Bäckerin wusste nichts.
    Eine leichte Unpässlichkeit konnte es nicht sein. Nicht bei Theo. Der stand montags immer da, egal ob es Sturzbäche regnete oder der Wind durch die Gassen pfiff.
    Urlaub konnte er auch nicht haben, den nahm er immer im Juni, und jetzt ist Oktober. Nein, es musste etwas passiert sein.
    Heute wurde meine düstere Ahnung zur schrecklichen Gewissheit.
    Theo ist tot, sein Herz hatte einfach aufgehört zu schlagen.
    Was soll nun aus mir, aus uns allen werden? An wem soll ich montags und mittwochs vorbei gehen?
    Ich spiele mit dem Gedanken, ab jetzt den Umweg durch den Garten zu nehmen. Besser, als am Nichts vorbeizulaufen.
    Theo ist nicht zu ersetzen, niemals, unser festes Kleinstadtgefüge hat einen Riss bekommen. Ein fürchterlicher Verlust für uns alle. Selbst die, die ihn jahrelang ignorierten, scheinen betroffen. Hatten sie ihn und sein Wirken jahrelang unterschätzt?
    Soeben haben wir Theo begraben. Wenn er auch nie die Kirche betreten hatte, so hielt ihm der Pfarrer doch eine ordentliche Rede. Der Kirchhof war schwarz vor Menschen, selbst der fette Wirt war gekommen, der nie einen Groschen an Theo verdient hat.
    Gebeugt mache ich mich nun auf den Heimweg, ein Stück ärmer geworden in der Seele. Denn wir haben Theo verloren, den besten Straßenkehrer, den je eine Kleinstadt auf dieser Welt gesehen hat.

Tante Rosa

    Tante Rosa stellte vorsichtig die Likörgläser zu den Meissner Mokkatassen.
    Wie jeden Mittwoch setzte ich mich auf die Biedermeiercouch in der guten Stube, indem ich meinen Hintern mittig auf das gehäkelte Schutzdeckchen platzierte.
    Ich malte mir kurz aus, wie Tante Rosa rosa Schutzdeckchen in Form von Hinterteilen häkelte.
    Mittwochs zwischen halb drei und halb fünf war Plauderei aus Tante Rosas Nähkastchen angesagt. Sie stichelte allzu gerne, die gelernte Schneiderin Rosa. Niemand verstand es so gekonnt über die gesamte Nachbarschaft herzuziehen wie meine Tante, ohne dass sie dabei jemals die Contenance verlor.
    Auf dem speckglänzenden Marmortisch stand sinnigerweise immer ein mit Puderzucker bestäubter Marmorkuchen, bereits akkurat in zwölf Stücke zerteilt.
    Auch Tante nahm auf ihrem, na ja, Deckchen konnte man es nicht nennen, also auf der Schutzdecke à la Bruxelles Platz.
    „Ein Schlückchen Johannisbeerlikör, Kind?“ Der Aufgesetzte war mir eigentlich zu süß, aber es gab ungeschriebene Gesetze, mittwochs bei Rosa.
    Zwei Stücke Marmorkuchen und zwei Gläschen Likör, zwei weitere Kuchenstücke packte sie mir immer ein. Ob sie um halb fünf, wenn ich gegangen war, noch weiter süffelte, habe ich nie erfahren.
    „Was gibt es Neues, Tante Rosa?“ Da verzog sich das altjüngferliche Gesicht immer zu einem seligen Lächeln. Aufgeregt wippte sie mit ihren dicken Füßen, die in absurden weinroten Haremspantoffeln steckten. Meine Augen folgten dem Verlauf der dicken Krampfader, die sich seitlich über den Rist von Tantchens Bein zog.
    Mutter hatte mir erzählt, einer habe sich damals verliebt in die junge Rosa, als sie noch in der Schneiderei lernte. Er hatte Kurt geheißen und auch schon bei Großvater um der Tante Hand angehalten. Aber dann kam der Krieg, und Kurt kam aus diesem nicht mehr wieder.
    Ob Tante Rosa nicht doch mal ...?
    Ich musterte ihre Hamsterbäckchen und das unbedarft-süffisante Leuchten in ihren Augen. Nein, mit Sicherheit nicht, und vorstellen wollte ich es mir auch nicht.
    „Die blonde Dame aus der dritten Etage hat einen Verehrer. Er kommt immer abends gegen elf und hat einen Schlüssel.“ Die geflüsterte Betonung lag schwer
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