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Als ein Blumenkohl noch zehn Pfennig kostete

Als ein Blumenkohl noch zehn Pfennig kostete

Titel: Als ein Blumenkohl noch zehn Pfennig kostete
Autoren: Claudia Duhonj-Gabersek
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Margot redete in den nächsten Jahren nur noch das Nötigste mit mir, und in Urlaub nahm sie mich nie wieder mit.
    Gestern habe ich sie besucht, im Altersheim. Es ist ein schönes Haus und sie fühlt sich dort sehr wohl. Aber zuerst hielt sie mich für die Schwester und dann für die Putzfrau. Doch als ich ging, nach zwei Stunden, da sagte sie: „Weißt du, im Schnee wachsen keine Apfelsinen.“

Als ein Blumenkohl noch zehn Pfennig kostete

    Als der Blumenkohl noch zehn Pfennig kostete, war ich wohl so sieben Jahre alt. Viel mehr als der Blumenkohl war damals nicht. Doch auf eines achtete Mutter immer: Milchbrötchen mussten es sein. Wasserwecken kamen nicht ins Haus. Manches andere auch nicht, wie der evangelische Freund meiner Schwester, Cola und schlüpfrige Ausdrücke. Mutter war die Einzige, außer der Jungfrau Maria, die unbefleckt empfangen zu haben schien. Also, nix mit Aufklärung. Die bekamen wir auf der Straße. Wo wir uns allerdings selten aufhielten. Eines der wenigen Autos hätte uns anfahren können. Oder wir hätten erfahren können, dass der Storch nichts mit dem dicken Bauch der Nachbarin zu tun hatte. Doch das hatten wir dann ruckzuck raus.
    Dafür durften wir oft in die Kirche, das war toll. Beliebt war vor allem der Karfreitag. Es hatte leider nicht genügt, in der Fastenzeit auf die wenige Luftschokolade zu verzichten. Noch heute hallt’s mir in den Ohren: „Beuget die Knie. Erhebet euch. Beuget die Knie.“
    Mutter beugte sie auch das Jahr über, und ihren schlimmen Rücken noch dazu. Mit ihren Betschwestern schrubbte sie wöchentlich den eiskalten Kirchenboden. Selbst als das Rheuma sie schon zwickte, hielt sie es für ihre Pflicht, Gottes irdische Wohnung staubfrei und steril zu halten. Und nachdem sie mir am Sonntagmorgen noch schnell die Strümpfe geflickt hatte, steckte sie unsere letzten zwanzig Mark in den Klingelbeutel. Zum Dank dafür kam der Herr Pfarrer oft zum Sonntagsbraten mit, den er mit ernster Miene fast alleine verspeiste. Dazu soff er unseren besten, nämlich einzigen, Wein. Mutter, wenn DU jetzt nicht im Himmel bist, dann gibt es gar keinen.
    Als ein Blumenkohl noch zehn Pfennige kostete, bekam ich als einziges Mädchen kein Fahrrad zur Kommunion. Ich durfte aber das geschenkte Geld zählen und auf mein Sparbuch einzahlen, wo es drei Prozent Zinsen abwarf, die in meine Zukunft investiert wurden.
    Blumenkohl aß ich gerne. Mutter machte ihn mit weißer Soße, Kartoffeln und Bratwurst. Am Ende des Monats auch mal ohne Bratwurst.
    Am liebsten aber mochte ich ihren Auflauf. Egal, was drin war, der Auflauf war immer klasse. Natürlich süß, nicht mit Blumenkohl. Wenn ich das Wort Auflauf höre, sehe ich sie vor mir. In der weißen, frisch gestärkten Schürze und ihrem braunen Strickrock. Irgendwann war der verwaschen und unansehnlich und Mutter fuhr in die Stadt. Jedes Mal brachte sie dann einen neuen braunen Strickrock mit, züchtig lang bis zur Wade und mit Zopfmuster.
    Als ein Blumenkohl noch zehn Pfennige kostete, waren Zopfmuster angesagt, zumindest bei meiner Mutter. Auch ich hatte zu Weihnachten einmal das Vergnügen.
    Nur war mein Strickrock nicht braun, sondern knallrot.
    Die Ferien waren schnell um und ich hatte den Rock schon fast verdrängt. Frisch gebadet lag ich abends im Bett.
    Da kam Mutter herein und legte mir die Sachen zurecht für die Schule. Und da war er wieder, der rote Rock. Ich beschloss, zu hüsteln und zu frösteln.
    Mutter brachte mir eine Bettflasche und hieß mich Fieber messen. Drei Tage lang hatte ich neununddreißig eins, aber dann platzte mit einem lauten Knall das Thermometer. Ich hätte das Bettflaschenwasser noch ein wenig abkühlen lassen sollen.
    Von dem Rock sagte ich nichts, denn er war ja ein Weihnachtsgeschenk gewesen. Besser, Mutter hielt mich für eine Schulschwänzerin.
    Fasziniert starrte ich auf das Quecksilber, das übers Linoleum rollte.
    Das Gelächter, das mir entgegenschlug, als ich das Klassenzimmer betrat, klingt mir bis heute noch in den Ohren.
    In meinem Kleiderschrank gibt es viel Buntes, aber nichts Rotes.
    Im Hochsommer kam Mutter auf Trab. Sie rechnete auf großen Zetteln lange Zahlenreihen rauf und runter. Dann gingen wir auf die Bank und fuhren zum Kohlenhändler. Viele Scheine gab Mutter her und ein paar Tage später kamen die Kohlenmänner. Wenn der Keller voll war mit Eierkohlen, Briketts und Anmachholz, durften sie sogar in die Wohnung rauf. Jeder bekam zwei Mark und eine Tasse Kaffee. Mutter meinte, wenn
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