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Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug
Autoren: Philippa Pearce
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spielen.«
    »Aber Sie konnten die Standuhr nicht mit in die Fens nehmen«, sagte Tom. »Sie ließ sich nicht bewegen.«
    »Das war gar nicht nötig«, sagte Hatty Bartholomew, »denn Barty hat das ganze Haus gekauft – er hat immer gekauft, was mir gefiel, wenn er konnte; doch er meinte, nun, ohne Garten, sei es nicht mehr das Haus eines Gentlemans. Er hat Wohnungen einrichten lassen und sie vermietet.«
    »Und dann sind auch Sie hier eingezogen?«
    »Damals noch nicht. Barty und ich waren glücklich in den Fens. Wir hatten zwei Kinder – Buben. Alle beide fielen im Großen Krieg – im Ersten Weltkrieg, wie er heute heißt.« Mrs Bartholomew weinte nicht, denn den Tod ihrer Kinder hatte sie schon vor langer Zeit beweint.
    »Dann, viele Jahre später, starb Barty, und ich war nun ganz alleine. Damals entschloss ich mich, hierher zu ziehen, und seither lebe ich hier.«
    Mrs Bartholomew verstummte, als ob dies das Ende ihrer Geschichte wäre, doch Tom wollte mehr hören. »Und seit Sie hier leben, kehren Sie oft zurück in die alte Zeit, nicht wahr?«
    »Zurück in die Zeit?«
    »Zurück in die Vergangenheit.«
    »Wenn man in meinem Alter ist, Tom, lebt man viel in der Vergangenheit. Man erinnert sich daran; man träumt davon.« Tom nickte. So viel jedenfalls begriff er jetzt: warum das Wetter im Garten immer so herrlich gewesen war; warum die Zeit im Garten oft einen Sprung nach vorne gemacht hatte und manchmal auch zurück. Immer war es die Erinnerung gewesen, die sich die alte Mrs Bartholomew für ihre Träume ausgesucht hatte.
    Doch vielleicht war Mrs Bartholomew nicht allein dafür verantwortlich, dass der Garten in diesen letzten Wochen Nacht für Nacht da gewesen war. Denn sie sagte Tom, dass sie noch nie so oft vom Garten geträumt habe wie in diesem Sommer und sich auch noch nie zuvor so lebhaft daran erinnert habe, wie es war, die kleine Hatty zu sein – wie es war, sich nach jemandem zu sehnen, mit dem sie spielen konnte, und nach einem Platz zum Spielen.
    »Aber das war genau das, was ich hier haben wollte in diesem Sommer«, rief Tom und erkannte sich plötzlich selbst in Mrs Bartholomews Beschreibung. Er hatte sich nach jemandem gesehnt, mit dem er spielen konnte, und nach einem Platz zum Spielen; und diese große Sehnsucht, die er in diesem großen Haus so unglücklich mit sich herumgetragen hatte, musste auf irgendwelche Weise Eingang gefunden haben in Mrs Bartholomews Träume und ihr die kleine Hatty von weit her in Erinnerung gerufen haben. Mrs Bartholomew war zurückgekehrt in die Zeit, als sie ein kleines Mädchen gewesen war, das im Garten spielen wollte, und Tom war es gelungen, mit ihr in diesen Garten zu gehen.
    »Aber in diesen letzten paar Nächten, vor der gestrigen Nacht«, sagte Tom, »haben Sie kaum vom Garten geträumt, sondern vom Winter und vom Schlittschuhlaufen.«
    »Ja«, sagte Mrs Bartholomew. »Vom Eisläufen nach Ely – so weit war ich noch nie von zu Hause fortgekommen; vom Erwachsenwerden und von Barty. Ich hab immer weniger von dir geträumt, Tom.«
    »Ich glaube, dafür konnten Sie nichts«, sagte Tom, »da Sie doch erwachsen wurden. Vorgestern Nacht, in der Kutsche, ist mir aufgefallen, dass Sie die ganze Zeit mit Barty geredet haben und nie mit mir.«
    »Mit jedem Winter, in dem ich dich gesehen habe, wurdest du dünner – durchsichtiger«, sagte Mrs Bartholomew. »Und am Ende dieser Heimfahrt mit Barty schienst du ganz verschwunden zu sein.«
    »Und dann, letzte Nacht –«, sagte Tom ohne Bitterkeit in der Stimme.
    »Letzte Nacht habe ich von meiner Hochzeit geträumt und davon, wie ich hier weggezogen bin, um in den Fens zu leben.«
    »Und als ich letzte Nacht hinuntergegangen bin«, sagte Tom, »und die Gartentür geöffnet habe, war der Garten nicht mehr da. Deshalb habe ich geschrien. Ich habe Sie gerufen, aber ich hab nicht wirklich geglaubt, dass Sie mich hören könnten.«
    »Du hast mich aufgeweckt«, sagte Mrs Bartholomew. »Ich wusste, dass es Tom war, der mich um Hilfe rief, obwohl ich es gestern noch nicht begriffen habe. Ich konnte nicht glauben, dass es dich wirklich gibt, bis ich dich heute Morgen gesehen habe.«
    »Wir sind beide wirklich«, sagte Tom. »Damals und heute. Es ist, wie der Engel gesagt hat: Keine Zeit mehr.«
    Tief unten im Hausflur hörten sie die Standuhr schlagen. Sie schlug zwei, und Mrs Bartholomew – die ihre Sprache zu verstehen schien – sagte, es müsse elf Uhr sein. Toms Tante würde sich wundern, wo er denn so lange
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