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Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug
Autoren: Philippa Pearce
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im Flur entdeckt hatte, und Tom, der sie später neben seinem Bett fand, hielt das nur für einen weiteren Teil des Geheimnisses, warum er überhaupt hier war. Unter der Bettdecke verbarg er – die Schnürsenkel um die Finger der linken Hand gewickelt – Hattys Schlittschuhe, die ihn nach Ely getragen hatten. Und doch war er jetzt hier, am Freitagmorgen, in der Wohnung der Kitsons. Er war sich so sicher gewesen, seine eigene Zeit gegen eine Ewigkeit von Hattys Zeit eintauschen zu können, und doch war er nach nur wenigen Stunden mit Hatty wieder zurück in seiner Zeit.
    »Vielleicht lag es daran, dass ich in der Kutsche eingeschlafen bin«, überlegte Tom und nahm sich fest vor, es nie mehr dazu kommen zu lassen. Denn eine Chance hatte er noch: heute Nacht. Heute Nacht würde er hinunter in den Garten gehen und dort bleiben, so lange es ihm gefiel.
    Er überlegte, ob er die Schlittschuhe mitnehmen sollte oder nicht. Wenn immer noch der große Frost herrschte, würde er gern auf dem Teich oder der Wiese Schlittschuh laufen. Doch er würde dem Garten nicht mehr, wie letztes Mal, ganz den Rücken zukehren.
    Vielleicht würde es ohnehin Sommer im Garten sein, wie sonst immer …
    Wenn er heute Nacht die Tür öffnete, würde die Luft draußen warm und lind und voll Blütenduft sein. Die Eiben entlang dem Rasen würden ihn begrüßen. Er würde den Sonnenuhrweg hinuntergehen, zwischen den Eiben und den Haselnusssträuchern hindurch, und dann bei den Spargelbeeten wieder ins Sonnenlicht eintauchen, und er würde vielleicht sehen, wie Abel neben dem Apfelbaum mit den frühen Äpfeln eine Steckrübe ausgraben würde, und Hatty, die wieder ein kleines Mädchen war, würde ihn in ihrem blauen Rüschenkleid erwarten und ihn mit ihren Geschichten umgarnen.
    »Denn die Zeit im Garten kann rückwärts gehen«, sprach sich Tom Mut zu. »Und Hatty könnte heute Nacht wieder ein kleines Mädchen sein, und wir können zusammen spielen.«
    Den Freitag verbrachten sie mit den Vorbereitungen für Toms Heimkehr. Sie suchten seine Sachen zusammen und packten sie; der Koffer wurde auf Hochglanz poliert und mit einem neuen Adressschild versehen; und die Tante nahm ihn mit zum Einkäufen und ließ ihn die Leckereien für sein Lunchpaket aussuchen, das er für die Zugreise brauchte, und die kleinen Geschenke, die er Mutter und Vater und Peter mitbringen sollte. Tom schaffte es nicht, so zu tun, als ob ihn diese Dinge, die noch so fern in der Zukunft lagen, interessieren würden. Es konnte Jahre dauern, bis er morgen sein Zuhause wieder sehen würde.
    In dieser Nacht ließ Tante Gwen die Schlafzimmertür offen, um mitzubekommen, ob Tom wieder im Schlaf aus dem Bett stieg. Tom entging diese Vorsichtsmaßnahme der Tante nicht. Doch nach wochenlanger Übung war er inzwischen recht geschickt und machte keinerlei Geräusche. Ohne die Schlafenden zu stören, schlich er sich aus der Wohnung und war schon auf dem Weg die Treppe hinunter.
    Vom Schlafzimmerfenster aus hatte er gesehen, dass der Himmel bedeckt war. Es gab weder Licht vom Mond noch von den Sternen. Als er nach unten ging, konnte er kaum die längliche Gestalt des Fensters am Treppenabsatz sehen. »Das ist doch egal«, sagte Tom und tastete sich ohne zu stolpern die letzten Stufen hinunter in den Hausflur.
    Hier hielt er inne, um der Standuhr zu lauschen, als ob sie eine Nachricht für ihn hätte. Doch die Uhr kümmerte sich nicht um ihn und ihr Ticken war nur ein bedächtiger Tadel für das allzu hastige Schlagen seines Herzens.
    Er ging an dem alten Schuhschrank vorbei den Flur entlang und stand jetzt vor der Gartentür. Plötzlich konnte es ihm nicht schnell genug gehen. Er wollte den Riegel zurückreißen, und obwohl seine Finger gar keinen Riegel fanden, verschwendete er keinen Gedanken daran.
    »Ich geh jetzt in den Garten«, murmelte er zwischen zusammengepressten Zähnen, und das Ticken der Uhr hinter ihm bestätigte seine Worte weder noch widersprach es ihnen.
    Jetzt hatte er die Tür geöffnet; auch draußen war Nacht, schwarz wie die Nacht drinnen. Er konnte nichts erkennen. Er stand auf der Schwelle und atmete tief durch. In der Luft lag kein Frost, und doch fehlte der sommerliche Duft von geschlossenen Blüten und Gras und Blättern. Die Luft schien nach überhaupt nichts zu riechen, vielleicht ganz schwach nach Teer, und er wusste nicht, woher das kam.
    »Das ist doch egal«, sagte Tom. Auch die Dunkelheit machte ihm nichts aus, denn inzwischen kannte er den Garten wie seine
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