Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug
Autoren: Philippa Pearce
Vom Netzwerk:
vorgestellt. »O Tom«, sagte sie, »verstehst du nicht? Du hast mich gerufen: Ich bin Hatty.«
    Die Worte der kleinen alten Frau hatten für Tom keine Bedeutung; nur ihre schwarzen Augen schlugen ihn in ihren Bann. Er ließ es zu, dass sie ihn zu sich in die Wohnung zog, wobei sie sanft und vergnügt vor sich hin murmelte. Jetzt war er in einem kleinen Flur; und vor seinen Augen hing ein gotisches Barometer, das ihm bekannt vorkam.
    »Das ist das Barometer aus dem Hausflur der Melbournes«, sagte Tom wie im Traum.
    Sie schob ihn vor sich her in ihr Wohnzimmer; und vor ihm, auf dem Kaminsims, stand die große, bräunliche Fotografie eines jungen Mannes mit einem jener gewöhnlichen Gesichter, das man dennoch in Erinnerung behält und wieder erkennt. Tom kannte dieses Gesicht. Er hatte es das letzte Mal bei Mondlicht gesehen.
    »Das ist Barty«, sagte er.
    »Ja«, sagte Mrs Bartholomew. »Ja, ein Porträt, das kurz nach unserer Hochzeit gemacht wurde.«
    Tom begriff nur quälend langsam die Bedeutung dessen, was sie gesagt hatte, Barty und der verstorbene Mr Bartholomew waren ein und dieselbe Person.
    Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und sah ihr in die Augen. »Sie haben Barty geheiratet? Wer waren Sie?«
    »Ich hab es dir gesagt, Tom«, sagte Mrs Bartholomew geduldig. »Ich bin Hatty.«
    »Aber Hatty war noch ein Mädchen, als Königin Viktoria regierte.«
    »Ich stamme aus der Zeit Viktorias«, sagte Mrs Bartholomew. »Was ist so merkwürdig daran?«
    »Aber Königin Viktoria hat den Thron 1837 bestiegen.«
    »Das war lange vor meiner Geburt«, sagte Mrs Bartholomew. »Ich wurde gegen Ende ihrer Regierungszeit geboren. Sie war schon eine alte Dame, als ich ein junges Mädchen war. Es war das späte Viktorianische Zeitalter.«
    »Aber ich verstehe nicht«, sagte Tom. »Ich verstehe nicht… Der Garten ist verschwunden … Und doch ist das Barometer noch hier … und Sie behaupten, Sie seien Hatty … Was ist passiert, nachdem ich mit Hatty auf dem Eis nach Ely gelaufen bin – das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben?«
    »Das letzte Mal?«, sagte Mrs Bartholomew. »Aber nein, Tom, es war nicht das letzte Mal, dass ich dich gesehen habe. Hast du es vergessen?« Sie sah ihn mit ernstem Blick an. »Ich sehe, du kennst nicht unsere ganze Geschichte, Tom. Ich will sie dir erzählen.«
    Sie fing an zu erzählen, und Tom lauschte, doch zunächst weniger dem, was sie zu sagen hatte, als vielmehr der Art und Weise, wie sie es erzählte, und er beobachtete ihre Erscheinung und ihre Bewegungen ganz genau. Ihre leuchtenden schwarzen Augen waren gewiss wie die von Hatty; und jetzt bemerkte er immer wieder eine Geste, einen Klang ihrer Stimme, eine Art zu lachen, die ihn an das kleine Mädchen im Garten erinnerten.
    Mrs Bartholomew hatte kaum zu erzählen begonnen, als Tom sich plötzlich zu ihr hinüberlehnte und flüsterte: »Sie waren Hatty – Hatty! Sie sind wirklich Hatty!« Sie unterbrach ihre Geschichte und lächelte ihm zu und nickte.

Eine Geschichte für Tom Long
    E s war im Jahre 1895«, sagte Hatty Bartholomew, »als du und ich den ganzen Weg nach Ely auf dem Eis gelaufen sind: im Jahr des berühmten großen Frosts. An diesem Tag haben wir auf dem Nachhauseweg Barty getroffen, und er hat uns auf der Kutsche mitgenommen.«
    Sie lächelte. »Ich hatte zuvor nie richtig mit Barty gesprochen, denn ich war schüchtern – ich bin es immer noch, Tom. Doch an diesem Tag war es anders: Barty und ich waren allein und wir unterhielten uns und lernten uns allmählich kennen. Später hat Barty immer gesagt, noch bevor er mit der Kutsche in die Zufahrt eingebogen sei, habe er sich praktisch entschlossen, dass er mich zur Frau haben wolle.
    Also hat er mir einige Zeit später einen Heiratsantrag gemacht und ich habe ihn angenommen. Tante Melbourne war nur zu froh, mich los zu sein.
    Wir heirateten an einem Mittsommertag, etwa ein Jahr nach dem großen Frost; die Mittsommernacht war die Nacht vor unserer Hochzeit. Als ich an diesem Abend meine restlichen Sachen zusammenpackte, fielen mir auch meine Schlittschuhe ein, und deshalb erinnerte ich mich auch an dich, Tom. Ich hatte die Schlittschuhe dort aufbewahrt, wo ich es versprochen hatte, und ich wusste, dass ich sie dort zurücklassen musste, obwohl es so lange her war, seit ich dich gesehen hatte. Ich habe dort auch einen Zettel hinterlassen, um es zu erklären.«
    »Ich habe ihn gefunden«, sagte Tom. »Unterschrieben und mit Datum versehen.«
    »Es war die Mittsommernacht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher