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Als die Tiere den Wald verließen

Als die Tiere den Wald verließen

Titel: Als die Tiere den Wald verließen
Autoren: Colin Dann
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herumflitzten. Nachdem auch die Eichhörnchen, die Igel und die Wühlmäuse eingetroffen waren, fehlten nur noch die Kreuzotter und die Vögel. Angeführt vom Waldkauz kamen die Vögel gemeinsam. Der Waldkauz hatte den Fasan und seine Frau mitgebracht, und sogar der Turmfalke, der die meiste Zeit hoch in der Luft über dem Farthing-Wald schwebte, hatte eingewilligt, an der Versammlung teilzunehmen.
»Die anderen Vögel habe ich nicht eingeladen«, erklärte der Waldkauz. »Die Amseln, die Stare, die Tauben, die Drosseln - sie sind alle schon halbe Haustiere. Sie gedeihen prächtig, wenn Menschen in der Nähe sind. Je mehr Menschen da sind, desto besser gefällt es ihnen. Es ist sinnlos, daß sie kommen.« »Müssen wir da hineingehen und uns die Federn schmutzig machen?« fragte der Fasan den Dachs ziemlich bestürzt.
»Mein Bau ist völlig sauber!« gab der Dachs zurück. »Ich habe den ganzen Abend damit verbracht, ihn herzurichten.«
»Wir sind nicht hierhergekommen, um gegenseitig unser Gefieder zu bewundern!« sagte der Waldkauz schroff. »Wenn du sonst nichts zu bieten hast, hättest du genausogut wegbleiben können.« »Ich habe nichts davon gesagt, daß ich nicht an der Versammlung teilnehmen will«, sagte der Fasan leise und ging ohne weiteres Getue mit seiner Gefährtin durch die Öffnung. Der Turmfalke folgte. »So eitel wie ein Pfau«, brummte der Waldkauz, und der Dachs schüttelte den Kopf.
»Geh nur, Waldkauz!« sagte er dann. »Ich warte nur noch auf die Kreuzotter, dann sind wir komplett.« In diesem Moment tauchte der Kopf des Fuchses noch einmal in der Öffnung auf. »Eben ist der Maulwurf angekommen«, sagte er grinsend. »Und zwar auf direktem Weg. Er hat von seiner Behausung aus einen langen Gang zum Versammlungsraum gegraben.« Der Dachs lachte. »Ich hatte den Maulwurf ganz vergessen«, gab er zu. »Hallo! Da ist ja die Kreuzotter!« »Guten Abend, meine Herren«, flüsterte die Kreuzotter und verhielt. Sie züngelte mit ihrer gespaltenen Zunge nach allen Seiten. »Ich bin doch wohl nicht zu spät dran, oder?«
»Irgend jemand mußte ja vermutlich der letzte sein«, bemerkte der Fuchs anzüglich. »Nach dir, Dachs.« Im schwachen, grünlichen Licht des Versammlungsraums standen die erwartungsvollen Gesichter der jungen Tiere in eigenartigem Kontrast zu den feierlichen Gesichtern der Erwachsenen. Der Dachs nahm seinen Platz in der Mitte des Raumes ein, flankiert vom Fuchs und vom Waldkauz, die sich selbst zu seinem Beirat ernannt hatten. Die anderen Tiere verteilten sich gleichmäßig an den Wänden entlang. Die meisten Feldmäuse, Wühlmäuse und Kaninchen achteten darauf, daß sie nicht in der Nähe des Wiesels oder der Kreuzotter saßen.
Der Dachs kam sofort zur Sache. »Dies ist erst die zweite Versammlung, die einberufen wird, seit ich lebe«, begann er, »und für die meisten von euch wird es die erste sein, an der ihr teilnehmt. Mein Vater hat die letzte Versammlung vor fünf Jahren einberufen, als die Menschen begannen, unser Zuhause zu verwüsten. Damals gab es nicht nur einen Farthing-Wald, sondern auch eine Farthing-Heide. Ich brauche niemand von euch zu sagen, was mit der Heide passiert ist, die einst unseren ganzen Wald umgeben hat.« »Weg. Alles weg!« zischte die Kreuzotter aus der Ecke, wo sie sorgfältig aufgerollt dalag, den Kopf auf der obersten Schlinge.
»Alles weg!« plapperten die Wühlmäuse nach. »Aber damit waren die Menschen nicht zufrieden«, fuhr der Dachs bitter fort. »Sie begannen, unsere Bäume zu fällen. Und das taten sie so lange, bis das, was einst ein großer Wald gewesen war, zu dem traurigen Rest von heute - nämlich einem kleinen Wäldchen - zusammengeschrumpft ist.«
»Was meinst du, was geschehen wird, Dachs?« fragte eines der Kaninchen schüchtern. »Was geschehen wird?« wiederholte der Dachs. »Dasselbe, was bisher geschehen ist, natürlich. Sie werden noch mehr Bäume fällen, noch mehr Häuser und Geschäfte bauen, eine Schule vermutlich, Büros und Straßen und überall gräßliche Betonpfosten und Wegweiser, schneller und schneller und immer noch schneller, bis schließlich...« Er brach mit einem verzweifelten Kopfschütteln ab.
»Bis wir schließlich mit dem Wald zusammen verschwinden.« Der Waldkauz beendete den Satz mit entschlossenem Pessimismus.
»Und all das - wie lange wird das dauern?« fragte der Hase.
»Diese Frage habe ich mir gestern auch gestellt«, nickte der Dachs, »obwohl ich die Antwort vermutlich schon die ganze Zeit
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