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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen
Autoren: A Beer
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Fußspuren in der weißen Schicht, die sich über die Hamburger Innenstadt gelegt hatte.
    Und alles war still. Schneestill.
    Marie blinzelte die Tränen weg, die plötzlich aus ihren Augen fallen wollten, und zog die Kapuze ihrer Jacke tief ins Gesicht.
    Ein Flattern regte sich in ihrer Brust. Unruhig und fast schmerzhaft. Und nur allzu vertraut. Nicht auch das noch!, dachte Marie. Sie atmete mehrmals tief aus und ein. Aber das Flattern verschwand nicht.
    Mit bebenden Fingern griff sie nach ihrem Schal, zerrte daran, um sich mehr Luft zu verschaffen, und kramte mit der anderen Hand in ihrer Tasche nach dem Tablettendöschen. Ruhig, bleib ruhig, versuchte sie sich selbst gut zuzureden. Alles in Ordnung…
    Aber es war nichts in Ordnung. Das Flattern wurde stärker, drückte von innen gegen ihre Rippen, bis sie das Gefühl hatte, ihr Brustkorb würde zerspringen. Schwärze kroch vom Rand ihres Sichtfeldes auf sie zu. In ihren Ohren rauschte es. Marie taumelte und stützte sich im letzten Moment an einem parkenden Auto ab. Mit zusammengekniffenen Augen würgte sie zwei Tabletten hinunter, presste die Hände gegen das kalte, schneebedeckte Blech und zwang sich, ruhig weiter zu atmen, obwohl ihr Brustkorb zu explodieren drohte.
    Ein. Aus. Ein und wieder aus.
    Ganz langsam verging der Schmerz, wurde schwächer mit jedem Atemzug. Marie hätte nicht sagen können, wie lange sie so dastand, leicht vornübergebeugt, und nur mit Mühe den Würgereiz unterdrücken konnte. Endlose Sekunden später erst wich auch der Schreck aus ihrem Nacken, und ihr Herz fand allmählich in seinen normalen Rhythmus zurück. Marie wischte sich erschöpft über die trockenen Lippen und richtete sich auf. Ihre Beine fühlten sich an wie aus Pudding, und am liebsten hätte sie sich hingesetzt, die Hand noch immer fest in den Jackenkragen verkrampft.
    Eine ganze Weile noch blieb sie einfach stehen und versuchte, sich zu erholen. Der Anfall war unerwartet gekommen. Dieses Flattern in der Brust hatte sie schon ewig nicht mehr gespürt. So lange, dass sie fast vergessen hatte, wie schmerzhaft es war.
    Benommen sah sie zu den hell erleuchteten Fenstern der Tanzschule hinauf. Beinahe bildete sie sich ein, die Musik bis zu ihr auf die Straße dringen zu hören. Ein Nachhall des Flatterns ließ Maries Körper erzittern, als sie daran dachte, dass Theresa dort oben noch immer mit Johannes tanzte, während sie hier unten beinahe zusammengebrochen wäre. Ihre Freundin würde ihr nicht nachlaufen, dachte Marie mit einem Anflug von Bitterkeit. So viel war nun wohl sicher.
    Schließlich, als der Schnee sich bereits als feine weiße Schicht auf ihrer Jacke festgesetzt hatte und ihre Füße allmählich zu frostigen Klumpen erstarrten, wandte Marie sich endgültig ab. Sie fühlte sich leer, müde und erschöpft, und sie wollte nur noch eins: nach Hause. In ihr Bett, und sich die Decke über den Kopf ziehen. Schlafen. Und gar nichts mehr sehen oder denken.
    Ihre Mutter rumorte in der Küche, als Marie die Wohnungstür aufschloss. Bis in den Flur roch es nach Tee und geröstetem Brot.
    Marie warf ihre Mütze und die Handschuhe auf die Kommode und streifte ihre Schuhe neben der Heizung ab, ohne das Licht einzuschalten.
    » Bin wieder da!«
    In der Küche wurde es kurz still. Dann öffnete sich die Tür und vor dem erleuchteten Rechteck des Rahmens erschien Karins Silhouette. Ihre kurzen Haare waren zerwühlt, wie immer, wenn sie sich über etwas geärgert hatte, und das gelbe Licht der Küchenlampe glitzerte in ihren Brillengläsern. Wie ein Raubvogel sah sie aus – und gleich würde sie auf ihre Tochter niederstürzen. Marie atmete tief durch und versuchte, sich auf das Unvermeidliche vorzubereiten. Als wäre der Tag nicht auch so mies genug gewesen.
    » Hallo Marie. Wie war der Kurs?« Obwohl die Frage in einem neutralen Tonfall gestellt war, bemerkte Marie sofort den unterschwelligen Vorwurf. Du hast schon wieder deine alte Wäsche im Bad liegen lassen, lautete die stumme Anklage. Und: Die Spülmaschine hast du auch nicht mehr ausgeräumt, bevor du gegangen bist.
    » Ganz gut«, antwortete Marie einsilbig und hoffte, in ihr Zimmer verschwinden zu können, bevor ihre Mutter entschied, dass die Kein-Streit-direkt-beim-Heimkommen-Schonfrist vorüber war. Natürlich, sie befand sich in allen Anklagepunkten für schuldig. Und nein, es war nicht das erste Mal, dass sie diese Diskussion führten– es war nicht mal so, dass Marie ihrer Mutter nicht insgeheim recht gab.
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