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Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Titel: Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
Autoren: Caroline Vermalle
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Mistkerle, aber wir müssen hart verhandeln, damit sie uns irgendetwas erzählen. Die Menschen versuchen, so vieles für sich zu behalten, doch wir lesen inihnen wie in offenen Büchern. Und die Geschichten sind immer faszinierend. All die intimen Worte, die sie zu verschweigen suchen und die für uns sonnenklar sind. Dieses Leben, das sich im Inneren eines jeden Wesens regt, und all die vergeblichen Versuche, es zu verheimlichen. Glauben Sie mir, ein Schmetterling langweilt sich niemals. Vor allem, wenn es sich um große Geheimnisse handelt wie bei unserem Gast auf der Insel. Und in diesem Augenblick ähnelten wir Jugendlichen, die außer Rand und Band sind, denn trotz unserer ausgezeichneten Antennen und der Intelligenz der Winde wussten wir, dass Jacqueline uns einen großen Teil von sich vorenthielt. Sie war unsere Terra incognita.
    Da wir gerade von den Winden sprechen, fällt mir ein, dass es Neuigkeiten von Zephyr gab. Wie gewohnt wehte er lachend durch den Sommerflieder und brüstete sich damit, in Erquy eine gute Geschichte aufgeschnappt zu haben. Natürlich ließ er sich zuerst ein wenig bitten, doch nach ein paar Minuten begann er, sie uns zu erzählen. Sie spielte sich vor einigen Tagen in Marcels Haus ab. Die Nacht war bereits vor ein paar Stunden hereingebrochen.
    Der alte Mann warf einen Blick durch das Küchenfenster, um sich zu vergewissern, dass ihn niemand beobachtete. Draußen war alles dunkel. Er stand auf und zog alle Vorhänge zu – die Vorhänge im Esszimmer und sogar die Vorhänge in dem Schlafzimmer oben (man weiß nie). Dann überprüfte er, ob die Haustür auch wirklich abgeschlossen war. Anschließend kehrte er an den Esstisch zurück und zog eine Plastiktüte aus der Sitzbank, in der eine Schutzhülle steckte, die nach Kunststoff roch.Marcel zog den Reißverschluss in der stillen Küche auf und schaute auf den Laptop. Es handelte sich um ein mindestens vier Jahre altes, aber offenbar nagelneues Modell. Er nahm sein Notizheft zur Hand, in dem stand, wie man eine Internetverbindung herstellte. Gott sei Dank funktionierte alles hervorragend. Marcel überprüfte noch einmal, dass die Vorhänge auch vollständig zugezogen waren. Er stand noch einmal auf und schaltete die Deckenlampe aus. Eine letzte Vorsichtsmaßnahme, falls die Vorhänge durchscheinend waren. Falls nämlich jemand sehen würde, was er tat, würde er sich den Rest seines Lebens schämen. Er setzte sich vor die Tastatur, gab www.google.fr ein und dann »Jacqueline Le Gall«.
    Zephyr erzählte uns, dass Marcel sich ein paar Stunden zuvor Paul anvertraut hatte. Er gestand ihm, dass er nicht die geringste Ahnung habe, wo Jacqueline sein könne, und auch wenn das genau ihrem Wunsch entsprach, würde er sich nicht damit abfinden. Fünfzig Jahre lang hatte er (fast) immer gewusst, wo sich seine Frau aufhielt, und jetzt wusste er es auf einmal nicht mehr. Das war hart. Paul schlug ihm alle Möglichkeiten vor, an die er selbst schon tausendmal gedacht hatte. Verwandte von ihr lebten seines Wissens nicht mehr. Ihre Freundinnen von der Wassergymnastik, diese alten Schachteln, deren Wasserwellen gegen Chlor und böse Zungen immun waren, wussten nichts, stellten ihm dafür aber unzählige Fragen. Besorgte gemeinsame Freunde konnten ihm ebenfalls nicht helfen. Kurzum, das Einzige, was dabei herauskam, wenn Marcel alle Telefonnummern anrief, die Jacqueline in ihrem Handy gespeichert hatte, war, dass es ihn schrecklich demütigte.
    Schließlich sagte Paul: »Hast du denn mal gegoogelt?«
    »Was?«, rief Marcel.
    »Gegoogelt. So findet man heutzutage die Leute. Kennst du das nicht?«
    »Sicher kenne ich Google. Trotzdem ist es Quatsch, was du da sagst. Glaub mir, wenn Jacqueline im Internet wäre, wüsste ich es.«
    »Einen Versuch ist es wert«, beharrte Paul.
    »Nein, ist es nicht. Ich stehe doch da wie ein Idiot, wenn ich meine Frau im Internet suche. Vielleicht habe ich sie verloren, aber ich möchte mir wenigstens einen Rest Selbstachtung bewahren, verstehst du?«
    Marcel warf Paul einen Blick zu, der darauf einen Schlussstrich unter diese absurde Idee setzte.
    Doch als Mitternacht vorbei war, hatte Marcel nur noch absurde Ideen, und für Selbstachtung war es zu spät.
    »Jacqueline Le Gall.«
    Marcel, der geglaubt hatte, niemanden mit diesem Namen zu finden, verlor den Mut, als er unter Jacqueline Le Gall 1 230 000 Einträge bei Google fand. In der nächsten Stunde nahm er die Seiten unter die Lupe und klickte auf die Links. Er erfuhr
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