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Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Titel: Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
Autoren: Caroline Vermalle
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jahrelang darauf warten musste, dass der Bischof dich deines Priesteramtes enthebt ... Das ganze Kaff wusste Bescheid, Paul. Ich verstehe nicht, was das mit Jacqueline und mir zu tun haben soll.«
    »Es hat auch nichts mit euch zu tun. Ich wollte dir damit nur sagen, dass ich mit dir mitfühle. Die Frau, für die ich mein Priesteramt aufgegeben habe, war nämlich nicht Renée.«
    »Nein?«
    »Nein. Es war eine andere. Und der Bischof ließ sich viel Zeit, aber sie versprach mir, auf mich zu warten. Und an dem Tag, als ich meine Liebe endlich in aller Öffentlichkeit leben konnte, war sie nicht mehr frei.«
    Marcel musterte Paul, der den Blick gesenkt hatte und mit den Zuckerkristallen auf der Wachstuchdecke spielte.
    »Stell dir vor, ich hatte Gott verlassen und meine Schäflein auch. Alles, was ich konnte, war, Priester zu sein. Und wozu hatte ich das alles aufgegeben? Ich stand da mit gebrochenem Herzen und ruiniertem Ruf. Ich habe furchtbare Zeiten durchgemacht. Das kannst du mir glauben. Wie du siehst, weiß ich, wie du dich fühlst, mein Freund.«
    Die beiden Männer schauten sich an. Schließlich senkte Marcel den Blick und wandte sich seiner Tasse mit dem kalten Kaffee zu. Er schüttelte langsam den Kopf.
    »Du warst dreiundzwanzig. Ich bin sechsundsiebzig.«
    »Ach, weißt du, wenn es um Frauen geht, spielt das Alter keine Rolle. Mit dreiundzwanzig tut es genauso weh wie mit sechsundsiebzig«, erwiderte Paul.
    Als der Fensterladen des Nachbarhauses laut im Wind klapperte, zuckte Marcel zusammen. Er schaute aus dem Fenster und betrachtete Paul dann mit feucht schimmernden Augen.
    »Du warst dreiundzwanzig, Paulo. Das ganze Leben lag noch vor dir, und du konntest wieder auf die Beine kommen. Und wie viel Zeit bleibt mir noch, um mich von dieser Enttäuschung zu erholen? Wie viele Jahre bleiben mir noch, um mir zu sagen, dass sich diese Liebe dennoch gelohnt hat? So etwas darf uns Alten nicht passieren. Weil uns nicht mehr viel Zeit bleibt, um glücklich zu sterben. Darum.«
    Marcel verstummte und Paul und Kaikias ebenfalls. Paul hörte sowieso nicht mehr zu. Er hörte nur dasTicken der Wanduhr, das leise Brummen des Kühlschranks und die Stille des Hauses, von dessen Dunkelheit man verschlungen wurde, wenn man es nicht rechtzeitig verließ. Er stand auf und nahm die leeren Tassen vom Tisch.
    »Komm doch heute Abend zum Essen zu mir. Das lenkt dich von deinem Kummer ab. Renée ist zu unserer Tochter gefahren. Sie ist noch immer nicht ganz auf dem Damm. Ich habe noch etwas kaltes Roastbeef im Kühlschrank, und es müsste noch eine Dose grüne Bohnen da sein. Hast du Käse?«
    Marcel schaute auf die Uhr. Es war zehn nach elf. Er stand mühsam auf und streckte wie ein steinerner Riese seinen steifen Rücken. Als Paul in die Küche ging, sah er, dass Marcel die Straßenschuhe auszog, in Pantoffeln schlüpfte und zur Treppe ging, die ins Schlafzimmer führte.
    »Es ist gut, dass du dich hinlegst«, rief Paul, der vor dem Kühlschrank stand. »Bei diesem Sauwetter ist es das Beste, was man tun kann. Zum Essen kommst du dann zu mir. Ich nehme ein paar Sachen aus deinem Kühlschrank mit, und dann zaubern wir uns daraus ein fürstliches Menü.«
    Paul fuhr fort zu reden, als würde er Selbstgespräche führen. »Weißt du, dass noch Obstsalat im Kühlschrank steht? Ich glaube, den sollten wir aufessen. Ich nehme ihn mal mit. Wir können ihn heute Abend zum Nachtisch essen. Und den Munster nehme ich auch mit. Ja, der muss weg.«
    Paul suchte in der Küche eine Plastiktüte, um dieSchale mit dem Obstsalat einzupacken. Kurz darauf hörte er, dass Marcel die Treppe wieder hinunterstieg. Im ersten Augenblick begriff Paul nicht, was ihn so verwirrte. Marcel hatte eine Jogginghose und schneeweiße Turnschuhe angezogen. Bevor Paul irgendetwas sagen konnte, öffnete Marcel die Küchentür und schaute hinaus in den strömenden Regen. Es war wirklich ein richtiges Sauwetter.
    »Marcel ...«, begann Paul.
    »Ich gehe schwimmen. Das tut mir gut«, sagte Marcel mit unbewegter Miene.
    »Du willst doch wohl nicht bei diesem Wetter schwimmen gehen.«
    »Ich gehe immer bei diesem Wetter schwimmen.«
    »Ja, aber heute ...«
    »Heute sind bestimmt keine Leute am Strand, die mir auf die Nerven gehen können. Dann macht es noch mehr Spaß. Hast du den Obstsalat für heute Abend eingepackt? Der muss gegessen werden. Um Punkt sechs bin ich bei dir.«
    Mit diesen Worten trat Marcel hinaus in Regen und Wind wie andere in den Sonnenschein. Paul
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