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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
Autoren: Franka Potente
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wurde in einen einfachen Pappkarton gelegt.
    Mit braunem Klebeband verschloss der Mitarbeiter des Beerdigungsinstituts den Deckel. Nachlässig. An einigen Stellen stand der Deckelrand ab. Es wirkte wie ein schäbiges, billiges Postpaket.
    Der Anblick war unendlich traurig. Er hatte einen richtigen Sarg erwartet. Es fiel ihm schwer zu atmen, er hatte das Gefühl, mikroskopisch kleine Totenpartikel einzuatmen. Den Geschmack von weißem Knochenpulver auf der Zunge zu schmecken, wie zertretene Kreide. Verdammt. Dies war ein seltsamer Ort.
    Agnes begann zu weinen. Derek führte sie hinaus.
    Tim wäre am liebsten mitgegangen. Aber er musste noch einige Papiere unterschreiben. Angespannt sah er sich um. Was kam jetzt noch?
    Der farblose Mann im Kittel zog Handschuhe über. Sein Kollege brachte zwei Schutzbrillen. »Wir würden dann jetzt mit der Einäscherung beginnen. Wollen Sie dabei anwesend sein?«
    Wollte er zusehen, wie sein Vater in einem Ofen verbrannt wurde? Alles in ihm sträubte sich dagegen. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, jemand von der Familie müsste anwesend sein. War es nicht traurig, wenn niemand da wäre?
    Still nickte er. Trat zurück und verschränkte die Arme.
    Er war nicht vorbereitet auf den Lärm, das Knallen und Rauschen der blau-orangefarbenen Flammen, als sich die metallene Ofentür öffnete. Er spürte die Hitze auf dem Gesicht. Die Wahrhaftigkeit des Moments war unerträglich. Als der Karton langsam in den gleißenden Flammen verschwand, wurde ihm übel.
    Da verließ auch er den Raum.
    In zwei Stunden würden sie die Urne abholen können. Man entschloss sich, zwei Straßen weiter gemeinsam im Restaurant zu essen. Bennigans. Gehobenes Fast Food. Sie gingen zu Fuß dorthin. Tim lief mit Daisy und Onkel Jake voran. Derek hatte Agnes untergehakt. Sie sah zerbrechlich aus an seiner Seite. Sam ging mit Esther und Donald. Esther trug schwarze Spitzenhandschuhe und einen kleinen Hut. Viel zu elegant.
    Donald hielt ihre Hand. Sein Anzug war zu kurz an den Ärmeln
    Jim ging als Letzter. Er rauchte. Sein Gesicht wie immer gerötet. Heute war er still und nachdenklich.
    Am Tisch nebenan saß ein junges, unauffälliges Paar. Beide in Jeans und Jeansjacke. Der Typ mit Schnurrbart und Baseballkappe. Das Mädchen hatte große Ohrringe.
    Eine Kellnerin mit Bennigans-Kappe und Schürzchen über grünen Bermudashorts trug einen kleinen runden Kuchen mit brennender Kerze herein. Sie hielt gradewegs auf das Paar zu, gefolgt von drei weiteren Kellnern, die rhythmisch in die Hände klatschten und »Happy Birthday!« sangen. Das Mädchen errötete. Sie kicherte hinter vorgehaltener Hand. Der Typ war stolz auf seine gelungene Überraschung.
    Daisy winkte dem Mädchen. »Happy Birthday!«
    Bevor das Essen kam, nahm Agnes Tim zur Seite. Gab ihm eine schmucklose Pappschachtel.
    »Hier. Bevor ich’s wieder vergesse. Dad hat dir als Einzigem was hinterlassen.« Sie drückte seinen Arm.
    Der Kellner stellte einen Teller mit Burger und Fritten vor ihm ab. Sie begannen zu essen, und Tim steckte die Schachtel zu den Zigaretten in die Jackentasche.
    Sie tranken Budweiser, und alle aßen mit Appetit.
    Tim sah auf die Uhr. Vom Vater war in diesem Moment bestimmt nicht mehr viel übrig. Lustlos aß er einige Fritten. Das Essen war schlapp und kalt. Er schien als Einziger keinen Hunger zu haben.
    Lieber Kaffee und eine Zigarette. Er blickte in die Runde. Man unterhielt sich angeregt. Esther hatte ihre Spitzenhandschuhe abgelegt. Daisy hielt die verbundene Hand immer noch im Neunzig-Grad-Winkel hoch.
    Sie würden ihn nicht vermissen. Er hatte eine Stunde für sich.
    Beim Starbucks nebenan holte er sich einen starken Kaffee. Redeye, Kaffee mit doppeltem Espresso. Ein paar müde Typen in Flanellhemd und Baseballkappe standen in der Schlange.
    Man musterte ihn. Im schwarzen Anzug, mit loser schwarzer Krawatte über weißem Hemd, mit Bart und dunkler Sonnenbrille sah er aus wie von einem anderen Stern.
    Rauchend lief er mit einem Becher Kaffee Richtung Ortskern und bog dann in eine kleine Straße nach rechts ein. Es war nicht weit bis zum roten Haus.
    In der braunen Schachtel, die Agnes ihm zugesteckt hatte, lag ein Schlüsselbund mit drei Schlüsseln. Keiner passte in die Haustür. Er probierte sie im verrosteten Schloss des kleinen Gartenhäuschens. Dann fiel ihm die Garage ein. Es war einen Versuch wert.
    Dreck und Staub rieselten auf ihn herunter, als er das Tor öffnete. Er musste den Kopf einziehen. Ein rostiger Grill, zwei
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