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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
Autoren: Franka Potente
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am Ende ziemlich scheiße behandelt. Hatte ihr viel versprochen. Aber als es Doreen dann schlechter ging, hat er Mom von heute auf morgen abserviert. Dann sind Heffners ziemlich schnell weggezogen und … na ja, wir haben nicht mehr von Peter geredet.«
    Tim fühlte sich schlagartig nüchtern.
    »Mom hat erst kurz nach Peters Beerdigung wieder von Doreen gehört, und die beiden haben sich einmal getroffen.«
    Der Sohn umarmte ihn, bevor er ins Bett ging. Tim spürte Erleichterung. Und auf eine seltsame Weise hatte Derek recht, die Dinge die vorgefallen waren, waren verjährt, zumindest fühlte es sich in diesem Moment so an.

25
    Derek erwartete ihn mit einer Handvoll Advil und kaltem Bier.
    »War ein guter Abend gestern.« Seine Stimme klang rau.
    Bier und Schnaps hatten ihnen beiden sichtlich zugesetzt. Eine halbe Stunde später spürte er, wie der Kopfschmerz nachließ.
    Sie fuhren zum Frühstücken in ein Diner. Fettig. Eier und Speck.
    Das altmodische Lokal war nur spärlich besetzt. Einfache Leute, Männer seines Alters. In jedem der Gesichter meinte Tim jemanden von früher zu erkennen.
    Derek lud sich Hashbrowns und Würstchen auf. Trotz Kater wirkte er heiter und aß mit Appetit.
    Tim betrachtete seinen Sohn. Der Anblick machte ihn froh. »Danke, dass du mitgekommen bist«, sagte er. »Wir haben lange nicht so viel Zeit miteinander verbracht.«
    Derek nickte mit vollem Mund. »Stimmt.« Dann lachte er. »Soll ich dir was sagen? Ich mag Golf nicht besonders. Ich spiele immer nur mit dir.«
    »Was? Wieso?«
    Das letzte Stück Bacon verschwand in Dereks Mund. Er zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Ich dachte, du magst Golf. War mir nicht sicher, ob wir uns regelmäßig sehen würden, wenn wir nicht golfen.«
    Verblüfft blickte Tim auf seinen Teller. Wischte das letzte Eigelb mit einem Stück Weißbrot weg. Dann musste er lachen.
    »Ich bin auch kein großer Fan von Golf. Mir tut danach immer die Schulter weh.«
    Derek bestellte zwei doppelte Espressi.
    »Ich will mit dir zu Grandpas Haus fahren. Komm, sei kein Spielverderber.«
    Es war nicht weit, Jasper war klein.
    Sie parkten ein Stück entfernt. Tim trat die Zigarette auf dem Gehweg aus. Weit und breit kein Mensch. Sie kreuzten die Straße. Der Sohn mit beherztem Schritt, er selbst zögerlich. Das Gartentor war angelehnt. Dahinter das rote Haus seiner Kindheit. Still und unverändert stand es da. Als sei die Zeit stehen geblieben.
    Er schaute auf die rote Front. Erinnerte sich plötzlich daran, wie er im Sommer mit dem Vater auf dem Rasen vor dem Haus Fußball gespielt hatte, bis der Ball auf dem Vordach gelandet war. Der Vater musste mit einer Leiter hochklettern, um den Ball herunterzuholen.
    Er bemerkte die verwitterten Fensterläden. Abbröckelnde Farbe. Die schiefe Regenrinne. Eine Verandastufe fehlte.
    »Gehen wir rein?« Dereks Frage holte ihn zurück.
    Er fand den Schlüssel unter dem Blumentopf neben der Haustür. Schimmel auf braunem Ton. Ein kleiner vertrockneter Busch. Eine dicke graue Assel floh.
    Der Türknauf rostig, lose. Im Haus war es dunkel, muffige Luft schlug ihnen entgegen. Er blieb im Türrahmen stehen. Derek schob sich an ihm vorbei, trat ins Haus und öffnete ein Fenster. Dann verschwand er ins Wohnzimmer.
    Ein heller Lichtstrahl durchschnitt Staub und Dunkelheit.
    Verdammt. Das alles hier war ewig her. Dann gab er sich einen Ruck und machte einen Schritt vorwärts. Die Holzbohlen knarzten bei jedem Schritt. Das Haus war weniger bedrückend, als er befürchtet hatte. Der Tyrann war verschwunden. Nur die Erinnerung an ihn hing wie feine Spinnweben in Ecken und Nischen. Kraftlos und blass.
    Einmal hatte der Therapeut sein Verhältnis zum Vater angesprochen. Tim erinnerte sich, dass er die Frage ungeheuerlich gefunden hatte. »Hat Ihr Vater Sie als Kind missbraucht?« Er hatte noch nicht von den Gürteln erzählt oder wie der Vater die Mutter schlug. Nur vage angedeutet, dass ihr Verhältnis angespannt war. Dass er sich nie geliebt gefühlt hatte.
    Nach der Missbrauchs-Frage waren sie ziemlich schnell beim Tegretol gelandet, und damit hatte sich die Sache.
    Langsam ging er durchs Wohnzimmer. Immer noch das abgewetzte grüne Kordsofa. Das Mobiliar war aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Unfassbar, wie sehr alles seinen Erinnerungen glich. Er strich vorsichtig mit den Fingerkuppen über die Häkeldeckchen auf dem Wohnzimmertisch. Eierschalenweiß.
    Alte Fotos in Metallrahmen an der Wand. Schwarz-Weiß. Agnes und er als Kinder.
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