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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
Autoren: Franka Potente
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living. Seit zwei Jahren aber war der Pool bis auf das gelegentliche Regenwasser im Winter leer geblieben.
    Mühsam streifte er die Schuhe ab. Stand auf. Spürte die schweren Beine.
    Der Spiegel im Flur hing schief. Nur unmerklich. Vorsichtig justierte er den Metallrahmen. Betrachtete sich. Bis auf einige dunkle Strähnen hatten sich fast alle seine Haare grau gefärbt. Das Gesicht sauber rasiert, aber blasser als sonst. Dunkle Schatten unter grünblauen Augen. Ein leichter Bauchansatz, der dank seiner zwei Meter zehn kaum auffiel. Neunundvierzig Jahre alt.
    Müde wandte er sich ab.
    Im Wohnzimmer war es heiß. Er hatte vergessen, die Klimaanlage anzustellen, bevor er gegangen war. Mittags knallte die Sonne auf die Rückseite des Hauses.
    Er zog die Vorhänge etwas auf, um mehr Licht hereinzulassen.
    Tim Wilkins atmete schwer. Was für ein Tag. Er stellte die Klimaanlage an, und sofort flutete eiskalte Luft ins Beige. Er spürte die unangenehme Nässe unter den Achseln.
    Im Licht der Sonne warf er einen langen Schatten ins Wohnzimmer.
    Er war es gewohnt, zu Hause zu stehen. Die meisten Möbel waren zu klein für ihn.
    Das Haus war geschmackvoll eingerichtet: vornehmlich sandfarben und beige. Neutral. Austarierte Raumsymmetrien. Im Wohnzimmer um den runden Couchtisch, halb Glas, halb Kirschholz, das schmale Sofa gruppiert, an den Enden zierliche Tischchen mit dimmbaren Lämpchen und zwei Sessel, wie das Sofa mit beigem Baumwoll-Seiden-Gemisch bezogen, fleckenfrei. Sideboard mit DVD -Player und Hi-Fi -Anlage, ordentlich aufgereiht diverse Fernbedienungen, an die Wand darüber montierter Flat-Screen- TV . Auf der anderen Seite des Zimmers auf cremefarbenem Teppich ein Esstisch in dänischem Design. Zu zierlich für die sechs Stühle. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt an dem Esstisch gesessen hatte. Die Stühle jahrelang unverrückt.
    An der langen Wand ein Regal, nicht zu wuchtig, mit Büchern und kleinen Vasen bestückt. Im Vitrinenschrank daneben sechs große Weingläser und sechs Sektflöten.
    Dafür hatte er jahrelang gearbeitet.
    Sie waren selten in den Urlaub gefahren. Lange Arbeitstage waren immer länger geworden. Derek war in Princeton aufs College gegangen, davon abgesehen, hatte seine Frau Liz sein Geld ausgegeben. Für zierliches Mobiliar. Meist hatte sie lesend dagesessen. Still, mit angezogenen Beinen. Auf der beigen Couch oder im Garten.
    Sie hatte davon gesprochen, wieder arbeiten zu wollen. Das kam allerdings nur zur Sprache, wenn sie Gäste hatten und Liz zwei Gläser Wein getrunken hatte. Sie war niemand, der sich beschwerte. In den letzten Jahren hatte sie oft traurig gewirkt. Oder nachdenklich. Still war sie immer gewesen.
    Als Derek aufs College ging, hatte sie eine Ausbildung zur Yogalehrerin begonnen. Danach betrieb sie mit einer Freundin zwei Jahre lang eine Boutique in West Hollywood. Das konnte man wohl kaum Arbeit nennen.
    Gesehen hatte er den Laden nur ein Mal. Enge Räumlichkeiten versetzten ihn in Stress. Zudem war ihm Liz’ Freundin körperlich unangenehm gewesen. Meredith hatte immer etwas spürbar Vorwurfsvolles und Angriffslustiges ihm gegenüber gehabt. Rotes, lockiges Haar, viel Silberschmuck, wallende, bunte Gewänder und große Brüste, die sie stolz vor sich hertrug. Sie hatte ihren Mann damals für einen Jüngeren verlassen.
    Liz dagegen war zurückhaltend und von unaufdringlicher Schönheit. Ernste grüne Augen, dunkles Haar, zum Pferdeschwanz gebunden, wenig Make-up auf heller Haut. Sie trug immer viel Schwarz und Burgunderrot.
    Wenn sie lachte, neigte sie den Kopf und bedeckte den Mund mit der Hand, wie ein Schulmädchen.
    Schon den ganzen Tag über hatte er sich zusammengerissen, hatte nicht an sie gedacht. An sie und an die gebräunte Hand, die jetzt wahrscheinlich auf ihrem blassen Schenkel ruhte.
    Jeder Gedanke an Liz war niedergeschossen worden wie ein ahnungsloses Stück Wild.
    Seit einer Woche war sie weg. Seine Frau war seit fast einer Woche weg. Seit fünf Tagen genau. Liz.
    Am Sonntag war sie in das große Auto gestiegen. Er selbst hatte am Küchenfenster gestanden. Das Bild einer gebräunten Männerhand, souverän und ruhig auf dem Steuer ruhend, hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt.
    In der Eile hatte sie den Weg zum Auto über den Rasen abgekürzt. Ein Absatz war im Gras stecken geblieben. Einen riesigen Kleidersack über dem einen Arm, mit der anderen Hand den Koffer ziehend, war sie gestrauchelt, hatte sich gefangen und hastig den Sack
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