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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
Autoren: Franka Potente
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Paul!«
    Jim wankte, als er aufstand. Er hatte das Glas nicht erhoben.
    Daisy bot ihm ihren gesunden Arm an, den er schnaubend ausschlug. Ungelenk stieß er mit dem Kopf an die niedrige Lampe über dem Esstisch. Fluchte leise. Esther zuckte unmerklich zusammen. Jims ungehobeltes Verhalten ängstigte sie. Für einen Moment flackerte das Licht im Raum.
    Dann drehte Jim sich noch einmal zur Familie um. »Mein Bruder war ein Arschloch! Ich weiß nicht, warum das hier keiner sagt.« Er verschwand ins Bad und schloss die Tür mit einem lauten Knall.
    Es war still. So still, dass man Jim hinter geschlossener Tür pinkeln hören konnte. Tim sah zu Derek hinüber. Der unterdrückte ein Grinsen.
    Als er zum Rauchen auf die Veranda ging, traf er auf Agnes.
    Es hatte wieder zu regnen begonnen, sie standen eng beieinander unter dem Vordach. Agnes zuckte zurück, als sich ihre Arme berührten.
    Schweigend bliesen sie den Rauch ins Dunkel.
    »Und, wie fühlt es sich an, nach einer Ewigkeit mal wieder mit der Verwandschaft an einem Tisch zu sitzen?« Sie klang feindlich.
    »Gut. Sehr gut. Ist ein netter Abend.«
    Ihr entfuhr ein missbilligendes Schnauben.
    »Einmal in zehn Jahren kann man sich die Zeit nehmen, nicht wahr?«
    Er entdeckte ein Funkeln in ihren Augen.
    »Agnes, ich weiß, dass ich mich sehr zurückgehalten habe, was familiäre Dinge angeht in den letzten Jahren.« Er suchte ihren Blick.
    Trotzig schaute sie an ihm vorbei.
    »Du weißt auch, warum.«
    »Mir ging es nicht besser als dir, und trotzdem war ich jahrelang für ihn da! Aber überrascht hat es mich nie, dass du dich aus allem rausgehalten hast! Abhauen, wenn es schwierig wird … Da kann Liz sicher ein Lied von singen …«
    Sie biss sich auf die Lippen, erschrocken, dass sie zu viel gesagt hatte.
    Er war erstaunt über die Heftigkeit ihres Ausbruchs.
    »Agnes, Liz hat mich verlassen, nicht umgekehrt.«
    Sie verschränkte die Arme. »Unterm Strich kommt dasselbe dabei raus.«
    Er hatte keine Ahnung, was sie damit meinte. Ließ ihr ihren Ärger für den Moment und zündete noch eine Zigarette an. Überraschend nahm sie eine, als er ihr schweigend auch eine anbot.
    Eine Weile hielten sie beide die Stille aus.
    »Agnes, du hast recht. Ich habe mich wie ein Arschloch verhalten. Ich … war ein Arschloch. Ignorant, gleichgültig. Dafür habe ich jetzt bezahlt. Liz ist weg. Ich habe meinen Job verloren und habe einige wirklich harte Wochen hinter mir.«
    Zum ersten Mal sah sie ihn an. Hörte ihm zu.
    »Hierherzukommen hat mich meine letzte Kraft gekostet.« Er sprach leise. »Aber ich bin froh, hier zu sein. Ganz ehrlich.«
    Unmerklich nickte sie.
    »So viel Schmerz wie in den letzten Wochen habe ich noch nie gespürt. Noch nie zugelassen.« Er warf die Zigarette weg. Der Regen prasselte jetzt heftiger aufs Vordach.
    »Sag mal, das Scheißwetter in Jasper hat sich auch nicht geändert …« Er versuchte ein vorsichtiges Lächeln. Dann gingen sie zurück ins Haus.
    Am Tisch war eine Diskussion im Gange. Jake sprach ungewohnt laut.
    »Stimmt doch! Er musste immer recht haben. Hat die gesamte Familie tyrannisiert. Einmal hat er mir fast das Nasenbein gebrochen, weil ich nicht seiner Meinung war.« Sein schmaler Kopf zitterte.
    »Das ist doch ewig her.« Esther flüsterte und legte ihm eine Hand auf den Unterarm.
    Jim schlug mit seiner fleischigen Hand auf die Tischplatte. »Mein Bruder hat sich einen Teufel geschert um diese Familie!«
    »Jim, jetzt wollen wir mal die Kirche im Dorf lassen. Du hast dich auch nie sonderlich für die Familie interessiert. Weder für uns noch für die Kinder«, sagte Donald.
    Ungehalten wischte Jim den Einwand mit einer abfälligen Handbewegung vom Tisch.
    Sam versuchte abzulenken. »Noch jemand Bier?«
    »Jahrelang hat er doch jeden Dollar versoffen!«, sagte Jim verächtlich. »Hier, seine Kinder mussten für das Heim, in dem er saß, bezahlen! Die Kinder, die er jahrelang windelweich geprügelt hat!«
    »Wir können nicht so von einem Toten reden, das gehört sich nicht«, sagte Esther
    Donald griff ihre Hand über den Tisch hinweg. »Lass nur. Ich glaube, wir alle haben unsere Erfahrungen mit Paul.«
    Daisy schien anderer Meinung. Aber sie schwieg, griff sich eine leere Schüssel und verschwand in die Küche.
    Warmer Apple Pie mit Sahne und Vanilleeis zum Dessert.
    Die Wogen hatten sich geglättet.
    Nachdenklich schaufelte Tim den Pie und halb geschmolzenes Eis. Es erstaunte ihn, dass der Vater eingeäschert werden wollte. Seinen
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