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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition)
Autoren: James Salter
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gerade verfilmt. Das größte Buch, das wir je hatten. Der Brief hängt hier als Mahnung.«
    Er verschwieg, dass er das Buch selber nicht gemocht hatte und nur von seiner Frau überredet worden war, es zu veröffentlichen, die meinte, es würde etwas in den Menschen berühren. Diana Baum hatte großen Einfluss auf das Leben ihres Mannes, auch wenn sie nur selten in den Büroräumen erschien. Sie widmete sich ihrem Kind, einem Sohn namens Julian, und der Literaturkritik. Sie hatte eine eigene Kolumne in einem kleinen, liberalen Magazin, das unabhängig von seiner Auflage nicht ohne Einfluss war, und machte sich so einen Namen.
    Baum besaß Geld, wie viel, war nicht bekannt. Sein Vater war als Bankier nach Amerika ausgewandert und hatte es zu einigem Wohlstand gebracht. Die Familie war deutsch-jüdischer Herkunft, geprägt von einem gewissen Überlegenheitsgefühl. In der Stadt gab es viele Juden. Viele waren arm und lebten an der Lower East Side oder in den anliegenden Vierteln, doch überall waren sie in ihrer eigenen Welt, ausgeschlossen und abseits von der großen. Baum wusste, wie es war, ein Außenseiter zu sein, vor allem auf dem Internat hatte er trotz seines offenen Wesens nur wenige Freunde gefunden. Bei Ausbruch des Krieges beantragte er kein Offizierspatent, er diente in den Reihen als Nachrichtenoffizier, aber er war an der Front, und einmal entging er dem Tod nur knapp. Sie waren im Flachland von Holland. Es war Nacht. Sie schliefen in einem Gebäude ohne Dach. Jemand kam mit einer Taschenlampe herein und bewegte sich zwischen den schlafenden Männern. Er tippte einen Mann am Arm.
    »Sind Sie Sergeant?«, hörte Baum ihn fragen.
    Der Sergeant räusperte sich.
    »Ja«, sagte er.
    »Stehen Sie auf. Wir müssen los.«
    »Ich bin nur Versorgungsmann. Ich bin der Ersatz.«
    »Ich weiß. Sie müssen dreiundzwanzig Mann zur Front schaffen.«
    »Welche dreiundzwanzig?«
    »Kommen Sie. Wir haben keine Zeit.«
    Er führte sie im Dunkeln eine Straße entlang. Vor sich hörten sie das widerwärtige Geräusch von Schüssen und die dumpfen Einschläge der Artillerie. In einer leichten Senke gab ein Captain Befehle.
    »Wer sind Sie?«, fragte der Captain.
    »Ich komme mit dreiundzwanzig Männern«, antwortete der Sergeant.
    Tatsächlich waren es nur einundzwanzig, zwei waren abgehauen oder hatten sich im Dunkeln verirrt. Nicht weit entfernt wurde geschossen.
    »Schon im Gefecht gewesen, Sarge?«
    »Nein, Sir.«
    »Das wird sich heute Nacht ändern.«
    Sie sollten in Schlauchbooten den Fluss überqueren. Fast schon auf Händen und Knien zogen sie die Boote die Böschung hinunter. Alle flüsterten, aber Baum hatte das Gefühl, dass sie sehr viel Lärm machten.
    Er stieg in das erste Boot. Er spürte keine Angst, er war von ihr gelähmt. Er hielt sich sein Gewehr, das er noch nie abgefeuert hatte, vor die Brust, als wäre es ein Schild. Es war ein todbringender Vormarsch. Er wusste, er würde sterben. Er konnte das Plätschern der Ruder hören, das im jähen Kugelhagel untergehen würde, das Flüstern, das bis weit über den Fluss zu hören war. »Paddelt mit den Händen«, flüsterte einer. Die Deutschen warteten mit der Eröffnung des Feuers, bis sie in der Mitte des Flusses waren, aber aus irgendeinem Grund passierte nichts. Es war die nächste Welle, die auf halber Strecke getroffen wurde. Baum war mittlerweile an Land, das gesamte Ufer über seinem Kopf explodierte im Gefechtsfeuer. Männer brüllten und fielen ins Wasser. Keines der Boote nach ihnen schaffte es.
    Sie saßen drei Tage fest. Später sah er den Captain, der ihnen die Befehle gegeben hatte, tot am Flussufer liegen, mit bloßem Oberkörper und dunklen, geschwollenen Brustwarzen wie von einer Frau. Und Baum schwor sich, nicht in dem Moment, aber später, als der Krieg zu Ende war, er schwor, nie wieder vor etwas Angst zu haben.
    Baum schien nicht die Art von Mann, die so etwas erlebt oder gesehen hatte, er war häuslich und urban, arbeitete an Samstagen und erschien aus Achtung gegenüber seinen Eltern an den höchsten Feiertagen in der Synagoge und auch aus Achtung gegenüber all jenen in den ausgelöschten Dörfern und Massengräbern. Gleichzeitig stand er nicht für das Judentum der schwarzen Hüte, des Leids und der alten Weisen. Der Krieg, aus dem er unverletzt herausgekommen war, hatte ihm seine Glaubwürdigkeit geschenkt. Er war von anderen Bürgern fast nicht zu unterscheiden, außer durch ein inneres Wissen. Er führte sein Geschäft auf englische
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