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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Autoren: Robert Misik
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zu sagen: Produkte waren immer schon in einem allgemeinen
     Sinn »Kultur«, als sie eine Art, Probleme zu lösen, Natur zu beherrschen oder Wünsche zu stillen, in eine bestimmte Technik
     verwandelten – ein Produkt, das nicht »kulturell« in einem solchen schwachen Sinn wäre, ist schlechterdings nicht vorstellbar.
     Das genau unterscheidet ein Produkt ja eben vom Rohstoff. Aber heute werden Güter immer mehr mit Bedeutung aufgeladen, die
     über diesen simplen Sinn von »Kultur« hinausgehen. Und damit werden sie zu »Kulturgütern« in einem emphatischen Sinn.
    Verharren wir noch einen Augenblick bei dem erstaunlichen Faktum, dieser eigentümlichen wechselseitigen Osmose von Ökonomie
     und Kultur, die den führenden Kulturtheoretikern der Welt seit mittlerweile zwanzig Jahren auffällt. Der postmoderne Kapitalismus,
     formulierte der große amerikanische Theoretiker Fredric Jameson schon |32| Ende der achtziger Jahre, ist von einer kulturellen Logik bestimmt. »Das Kulturelle und das Ökonomische kollabieren gleichsam
     ineinander und bedeuten dasselbe« 22 , behauptet er gar. Wirklich alles – wirtschaftliche Werte, die Städte, die Natur, unsere Gefühle – verwandelt sich in Bilder,
     Images und wird »kulturell in einem noch recht untheoretisierten Sinn« 23 . Häuser werden Logos für Architektur, selbst das Liebesleben wird von kulturellen Praktiken bestimmt – was romantisch ist,
     wissen wir aus dem Hollywoodfilm, und dass eine Reise nach Venedig in Liebesdingen als romantisch empfunden wird, versteht
     sich auch nicht von selbst, sondern nur vor der Folie kulturellen Wissens. Wir »empfinden« die Reise als romantisch, könnte
     man sagen, weil wir davon gehört haben, dass wir dabei so empfinden werden. »Das Kulturelle wirkt heute auf die Realität in
     einem Maße zurück« 24 , so Jameson, in einem Ausmaß, dass eine reine, nicht vom Kulturellen geprägte Realität gar nicht mehr vorgestellt werden
     kann.
    Seit den sechziger Jahren, assistiert Jamesons britischer Kollege Terry Eagleton, wurde »Kultur mehr und mehr entscheidend
     für den Kapitalismus, so dass beides heute praktisch ununterscheidbar geworden ist«. 25 Und Stuart Hall, einer der führenden Köpfe der gegenwärtig so modernen »Cultural Studies«, sieht in der Kulturalisierung
     des Ökonomischen ein Symptom für die unerhörte innere Landnahme des Kapitalismus, »eine unglaubliche Erweiterung von Bereichen,
     die bisher nicht der Warenform unterworfen waren«. 26 Hall weiter: »Wenn es so etwas wie ›Postfordismus‹ gibt, ist er ebenso gut die Beschreibung einer kulturellen wie einer ökonomischen
     Veränderung. Die Unterscheidung selbst wird ziemlich nutzlos. Die Kultur ist nicht mehr (falls sie es jemals war, was ich
     bezweifle) eine dekorative Zugabe zur ›harten Welt‹ der |33| Sachen und der Produktion, die Sahnehaube auf der materiellen Welt. … Mittels des Designs, der Technologie und der Produktion
     von Stil hat die ›Ästhetik‹ bereits die Welt der modernen Produktion durchdrungen. Durch Marketing, Layout und Stil stellt
     das ›Bild‹ den Modus der Repräsentation des Körpers und seine fiktionale Verwandlung in eine Erzählung her, von der ein großer
     Teil der modernen Konsumtion abhängt. … Die materielle Welt der Waren und Technologien ist zutiefst kulturell.« 27
    Werbung ist Wunschverfertigung und -erfüllung.
    Aber was genau ist hier der Wunsch?
    Wenn wir Waren kaufen, kaufen wir also nicht nur das mit, was sie kulturell repräsentieren – wir kaufen in erster Linie die
     Ware als Kulturware. Weil sie, wie wir in einem solchen Fall gerne sagen, »zu uns passt« – oder wir zu ihr passen. Genauer:
     Weil wir uns gerne als jemanden sehen |34| wollen, zu dem sie passt – oder weil wir gern so jemand werden wollen. Weil wir uns mit dem Kauf der Kulturware ein Stück
     weit selbst »erwerben«. Beim Konsum im Kulturkapitalismus geht es also ganz primär um Identität. Um uns mit diesem Umstand
     näher zu beschäftigen, müssen wir uns jener Aktivität zuwenden, die heute die gesellschaftliche Aktivität schlechthin ist,
     die Art, uns mit der sozialen Welt in Beziehung zu setzen – dem Shopping.

[ Menü ]
    |35| 2. Was ist Shopping?
    Warum der Konsument im Konsumkapitalismus nicht nur Waren erwirbt – sondern mit diesen auch sich selbst, seine Identität.
    »Ich schlief gerne mit April«, berichtet Jolo, der Protagonist aus Joachim Lottmanns Pop-Roman »Die Jugend von heute« über
     die
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