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Alles paletti

Titel: Alles paletti
Autoren: Assaf Gavron
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es, Pozailov, wir wissen’s. Willst du uns das jetzt jeden Tag sagen?«
    »Ja. Jeden Tag werd ich euch das sagen. Klar. Wie kriegt ihr sonst euern Hintern hoch? In drei Tagen müssen die Automaten unterwegs sein. Wisst ihr das?«
    »Wissen wir. Noch drei Tage.«
    »Na, und, kriegt ihr’s rechtzeitig hin?«
    »Vorher. Noch zwei Tage, und alles ist fertig.«
    »Noch zwei Tage, und alles ist fertig. Hört sich für mich sehr bekannt an, der Satz. Hast du’s nicht schon satt, das zu sagen? Das ist es, was mir bei euch Sorgen macht. Ist dir klar, dass wir alle in Schwierigkeiten stecken, wenn die Automaten am Samstag nicht rausgehen? Verstehst du, dass Vladimir Berkovich nicht mal zwinkern wird, wenn er uns ins Jenseits befördert?«
    Popeye löst den Blick wieder vom Fernseher. Er ist gereizt. »Pozailov! Wir haben diese Drohungen schon tausendmal gehört. Es wird alles fertig sein, okay? Ich brauche ein bisschen
Inspiration, das ist alles. Mordechai arbeitet. Ich gehe gleich zurück. Wenn Vladimir uns ein paar Tage, bevor die Arbeit fertig ist, ins Jenseits befördern will, dann bitte, soll er eben. Was kann ich da machen.«
    »Wenn du es sagst.« Pozailov ist nicht zufrieden mit der Antwort. Nicht glücklich darüber, dass er offenbar der Einzige ist, der unter Druck steht. Und sein Rücken juckt an einer Stelle, die er nicht erreichen kann, was ihn schon seit einigen Tagen schier um den Verstand bringt. Er versucht wieder, mit der Hand hinzugelangen, aber ohne Erfolg. Er sagt zu Popeye: »Kannst du mich mal kratzen? Da ist ein Punkt am Rücken, wo ich nicht hinkomme, das macht mich noch wahnsinnig.«
    »Hier?«
    »Bisschen weiter oben. Ja. Eine Spur nach rechts. Nein. Eine winzige Spur weiter links. Ja. Ahhh, kratz, kratz schon! Wow. Ohhh. Ja. Da ist es. Kannst du mal schauen, was da ist?« Pozailov schiebt das T-Shirt der Chicago Bulls hoch.
    »Du lieber Himmel, Pozailov, was ist das denn? Da ist eine riesige Spinne!«
    Pozailov fährt in die Höhe. Dann fällt es ihm ein. »Du machst mich noch ganz irre, also wirklich, ist da irgendwas?«
    »Ach so, es ist keine echte Spinne.« Popeye betrachtet die prachtvolle Tätowierung im Zentrum von Pozailovs Rücken. Ein Spinnennetz mit einer kleinen Schwarzen Witwe in der Mitte. »Es ist rot neben dem linken Auge der Tarantel. Das ist alles. Weiterkratzen?« Popeye tippt mit dem Fingernagel auf die Spinne.
    »Nein, nein. Genug, lass gut sein.«
    Popeye lässt das T-Shirt der Bulls wieder auf Pozailovs Hüften
hinunterrutschen. Zu den Simpsons wird er wohl nicht mehr kommen. Er mustert Pozailov, der angezogen ist wie im Sommer. T-Shirt, kurze Hosen, barfuß.
    »Was soll das, Pozailov, gehst du an den Strand? Es hat minus zehn Grad draußen.«
    »Ihr habt doch um diese Heizung für die verdammten Maschinen gebeten, oder nicht? Außerdem, was ist schlecht an ein bisschen Heizung? Wir sind ja nicht in der Ukraine, das ist die freie Welt hier.«
    Popeye steckt den letzten Bissen des weichen Bagels in den Mund. »Danke, das war super.« Er blickt den Riesen an, der sozusagen sein Vorgesetzter ist. Pozailov sieht aus wie ein überdimensioniertes Kind mit seinen strahlend blauen Augen, seinem wilden roten Bart und der beginnenden Glatze. Kaum zu glauben, dass dieses Etwas drei Jahre in Afghanistan war. Er hat ihm eines Abends davon erzählt. Er war bei den Sondereinsatztruppen, sie kämpften gegen die Mudschaheddin, die fundamentalistisch-islamischen Aufständischen. Danach saß er im Gulag für versuchten Waffenschmuggel, worüber er nicht spricht. Sie nannten ihn den »Colonel«, und auf der Brust hat er einen riesigen Panther eintätowiert. Auf seinem Knie prangt das Abbild eines achteckigen Sterns, der, wie er erklärte, bedeutet, dass er sich vor niemandem je beugen würde, niemals. Die Witwe und das Spinnennetz auf dem Rücken hat er nur so, zwecks der Schönheit, machen lassen. Und dann noch die Finger. Auf zwei Fingern der linken Hand sind, wie Ringe, die kyrillischen Buchstaben A und K tätowiert. Einmal hat Popeye ihn gefragt: »Also wie, hat sie Anna Karenina geheißen?« Pozailov hat nur einen gekränkten Blick auf ihn geheftet und geknurrt: »Nein.« Über diese Tätowierung ist er nicht bereit zu reden.

    Pozailov ragt noch immer über ihm auf, und seine übermächtige Präsenz stört Popeye so, dass er nachgibt. »Okay, okay. Du wirst mich nicht in Ruhe lassen, bis ich aufstehe, ha?«
    »Nein.«
    »Hier bitte.« Popeye steht auf. Er geht ins angrenzende Zimmer.
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