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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit
Autoren: Ennio Flaiano
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die Bäume zu, plötzlich wieder aufgemuntert; aber nach wenigen Schritten blieb ich stehen. Dort auf dem Boden lag der Briefumschlag, den ich ein paar Stunden zuvor aus der Tasche gezogen hatte und der mir heruntergefallen sein musste, als ich den Brief wieder las. Mein Name war klar und deutlich von«ihrer»Hand geschrieben, und da fiel mir ein, dass diese beiden Worte mich von allen anderen menschlichen Wesen unterschieden und kundtaten, dass ich am Leben war in diesem verhängnisvollen Buschwald; kein Brief konnte mir willkommener sein als dieser, den ich in diesem Augenblick empfing. Er sagte mir außerdem, dass
ich in der Nähe«meines»Pfades war, ja, dass der Pfad gerade hier sein musste, hinter diesen Bäumen und Wassertümpeln. Unter diesen lieben Bäumen begann das Leben von neuem, und alle Dinge nahmen wieder ihre wahren Proportionen an, auch meine Angst. Und diese Abessinier dort oben waren nichts als drei Tote. Oder vielleicht wollte der Brief mir noch eine andere Hilfe bringen, die ich nicht zu begreifen vermochte.
    Ich fing wieder an zu laufen, und meine Beine bewegten sich wie von selbst, doch noch einmal musste ich stehenbleiben. Zwischen den Bäumen sah ich eine Frau, die gerade dabei war, sich zu waschen.
    Die Frau bemerkte meine Anwesenheit nicht. Sie war nackt und wusch sich in einem der Tümpel, hingekauert wie ein gutes Haustier. Während ich sie beobachtete, überlegte ich, ob sie mir den Weg zeigen könnte, so dass ich nicht zur Brücke zurückkehren musste. Eine Frau, die sich wäscht, ist ein ganz gewöhnlicher Anblick dort unten und deutet auf die Nähe eines Dorfes hin.«Nichts, was es in diesem Gehölz nicht gäbe», sagte ich und schaute der Frau weiterhin zu. Ich setzte mich sogar hin, denn ich spürte nun, dass ich wirklich müde war nach dem unnützen Marsch an diesem Vormittag.
    Die Frau hob mit trägen Bewegungen die Hände,
goss das Wasser über ihren Busen und ließ es an ihrem Körper herablaufen; sie schien ganz versunken in dieses Spiel. Vielleicht war sie schon lange dort, entschlossen, sich ohne Eile zu waschen, um des Vergnügens willen, das Wasser auf der Haut herunterrinnen zu fühlen, und zugleich auch die Zeit verrinnen zu lassen. Sie bemerkte meine Gegenwart nicht, und ich blieb sitzen und sah ihr zu. Zwar war der Anblick durchaus alltäglich, aber schöner als alle anderen, die sich mir bis jetzt geboten hatten. Da das Spiel noch lange nicht enden zu wollen schien, zündete ich eine Zigarette an, unterdessen wollte ich mich ausruhen.
    Sie hob die Hände, ließ das Wasser herunterrieseln und wiederholte die Gebärde mit schwermütiger Monotonie. Es war ihre Art, sich zu vergnügen und vielleicht auch sich gern zu haben. Ihre Art, sich zu waschen, war anders: Sie schrubbte sich kräftig wie eine Waschfrau, fast als ob ihr eigener Körper nicht ihr gehöre. Aber das waren nur kurze Unterbrechungen in dieser Eintönigkeit. Als ein Rabe kam, um an einem benachbarten Tümpel zu trinken, warf die Frau laut schreiend einen Stein nach ihm und traf ihn genau. Der Rabe flatterte senkrecht in die Höhe und erreichte den Baum, wo er sich zwischen die Zweige kauerte. Die Frau schrie noch eine Weile, dann
war sie jedoch still und fing wieder an, sich mit trägen Gebärden zu waschen.
    Warum sie stören? Sie hatte eine sehr helle Haut, aber ich schenkte dieser Besonderheit keine Beachtung, obwohl sie erstaunlich war in diesem Gehölz. Nur in den Bergen von Gondar 2 war ich Frauen mit so heller Haut begegnet; dort hat vermutlich die portugiesische Herrschaft die Haut und die Wünsche der Frauen heller gemacht. Ich erinnerte mich an jene Frau, die ich auf einer wunderschönen Wiese angetroffen hatte und die näher gekommen war, um mir ein einziges Wort zu sagen:«Bruder.»Sie hatte ein Lächeln von einer noch nicht verlorenen Schüchternheit hinzugefügt, als sie dann blieb, um mich anzusehen, als ob die Sache nicht auch sie anginge. Sie überließ mir ganz eine fast unausweichliche Verantwortlichkeit.
    Beim Waschen hatte die Frau ihr Haar in eine Art weißen Turban zusammengenommen. Jetzt, da ich wieder daran denke, wird mir bewusst, dass dieser weiße Turban ihr Dasein bestätigte, das ich sonst als ein besonderes Merkmal der Landschaft angesehen hätte, die man anschaut, ehe der Zug in den Tunnel einmündet. Dieses baumwollene Tuch entschied alles, doch damals wusste ich noch nicht, dass es alles entscheiden würde. Ich konnte es nicht wissen und bewunderte die angeborene
Anmut
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