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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit
Autoren: Ennio Flaiano
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befand mich im Tal eines Nebenarms, der in den Fluss mündete: Also hatte ich mich sowohl von der Brücke als auch vom Hochland entfernt, denn die Kante des Hochlands machte jetzt einen Bogen und verschmolz mit den Linien der fernen Berge. Das Hochland wurde tief eingeschnitten vom Nebenfluss, der im Norden entsprang. Ich sah den kleinen Wasserlauf unter mir, von den Sträuchern fast zugedeckt.
    Ein uralter Friede an diesem Ort. Alles so zurückgelassen wie am ersten Schöpfungstag, wie am Tag der großen Einweihung. Es konnte nicht schwierig sein, ans Flüsschen hinunterzusteigen, aber welche Gründe hätten je die Menschen dazu bewegen sollen? Nicht die Notwendigkeit hinüberzusetzen, nicht der Fischfang, der hier nicht
betrieben wird, und nicht einmal das Bedürfnis, den Durst zu löschen, denn Wasser gibt es reichlich auch auf dem Hochland, und niemand wohnte in diesem heißen Gebiet. Das Vergnügen einer Wanderung? Die Eingeborenen sind Ausflügen eher abgeneigt. Wenn ich bis zum Ufer hinuntergestiegen wäre, hätte ich Tierspuren gefunden, aber weiter nichts. Es gab vielleicht nicht einmal einen Pfad, und ich hätte einen erfinden müssen. Aber wozu? Dennoch war mir plötzlich der Gedanke gekommen hinabzusteigen, so tief ist die Vorliebe für nutzlose Unternehmungen in mir eingewurzelt. Bin ich etwa bloß ein Zeitverschwender? Allmählich schöpfte ich den Verdacht.
    Eine leichte Brise kräuselte an einer Stelle die ruhige Oberfläche des Baches. Als ich genauer hinsah, stellte ich fest, dass es sich um einen verfaulten Baumstamm handelte. Aber der Baumstamm zuckte auf und verschwand: Also war es ein Krokodil oder vielleicht nur ein Leguan. Von dieser Höhe aus konnte ich seine Größe nicht abschätzen.«Vielleicht wartet es auf mich», dachte ich und versuchte zu lachen. Aber es fiel mir schwer, jetzt zu lachen, und daher ging ich weiter durch das Gehölz.
    Es war kein Pfad mehr vorhanden. Ich begann mich darüber zu beunruhigen, und so lief ich eilig
ein oder vielleicht auch zwei Kilometer in Richtung auf die Brücke zurück, wobei ich allerdings versuchte, an Höhe zu gewinnen. Zu spät erinnerte ich mich an die Vorsichtsmaßnahmen, die ich hätte treffen sollen, nämlich ab und zu Papierfetzen auf den Sträuchern zurückzulassen. Wie oft hatten wir doch über einen unserer Offiziere gelacht, der immer seine Rolle Papier bei sich hatte, wenn er ins dichte Gehölz hineinging, und alle fünfzig Schritte einen Fetzen davon zurückließ, den er sogar numerierte. Jetzt den richtigen Weg wiederzufinden, bedeutete, viel Zeit zu verlieren. Ich war sehr rasch gegangen, und wenn ich den ersten Wildbach erreichte, müsste ich noch weitere zwei Stunden laufen, oder vielleicht etwas weniger, um wieder bei der Brücke anzulangen und dort von den Arbeitern spöttisch angesehen zu werden. Und der Blonde würde mich fragen:«Haben Sie etwas vergessen?»Er würde bestimmt nichts weiter sagen.
    Umkehren: Das wäre sicherlich eine gute Lösung, wenn ich den Wildbach finden würde. Doch es war klar, dass er gerade an der Stelle entsprang, an der ich ihn überquert hatte. Wenn ich diese Stelle nicht wiederfand, war es nutzlos, überhaupt vom Wildbach zu reden.
    Es gab eine andere Lösung: senkrecht zum Hochland hinaufzuklettern. Das Hochland war
keine Luftspiegelung, sondern es lag wirklich dort oben, und indem ich vier- oder fünfhundert Meter Höhenunterschied überwand, würde ich es erreichen. Ich nahm also den ersten Höcker in Angriff und gelangte auf eine andere Lichtung, die jener ähnlich war, die ich eben verlassen hatte: die gleichen Bäume, die gleiche eintönige Einsamkeit. Das war’s, eine Terrasse nach der anderen, und dann würde ich ankommen; ich war vielleicht näher am Ziel, als ich zu hoffen wagte.«Nur Mut», sagte ich laut. Und obschon ich verärgert war, dass ich mich in diese verzwickte Lage gebracht hatte, beschloss ich, wieder herauszukommen und die Hochebene zu erreichen, wenigstens ehe die Sonne hinter dem gegenüberliegenden Rand unterging. So fasste ich neuen Mut und begann wieder zu steigen; doch als ich auf der dritten Terrasse angekommen war, sah ich mich verloren.
    Vor mir erhob sich eine steile Basaltwand. Links hing die Terrasse über. Ich könnte dem Pfad nach rechts folgen, doch warum ein bereits so unseliges Unternehmen noch weiterführen? Nutzlos, sich noch mehr von der Brücke zu entfernen. Links hätte ich es auch versuchen können, doch es war ebenso nutzlos, da der Pfad nicht um die
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