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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit
Autoren: Ennio Flaiano
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und wartete darauf, dass ich ihn fragen würde, wo denn die Abkürzung sei.
    Wo hatte ich diesen jungen Mann nur schon gesehen? Er hatte eines von diesen freundlichen Arbeitergesichtern, die man mindestens einmal schon gesehen hat, vielleicht als man sich aus dem Fenster eines Zuges lehnte. Oder maß ich seiner besonderen Schönheit mehr Wert bei, als eigentlich angebracht war? Oft habe ich wieder an diesen jungen Mann gedacht (er musste wohl die Seele eines dienstbeflissenen Kellners haben), doch ich möchte jeden Zweifel über die Bedeutung seines Vorkommens in dieser Geschichte zerstreuen. Er war nur ein Arbeiter, der den Wunsch hatte, mir nützlich zu sein und mir eine gute Abkürzung zu zeigen. Der Himmel bewahre mich davor, den Verdacht zu erwecken, er sei mehr als eine einfache Nebenfigur und seiner Einmischung müsse zugeschrieben werden, was mir später widerfuhr.
    Nach zwei Minuten kamen wir zur Abzweigung; wir mussten uns trennen. Ich bot ihm eine
Zigarette an, aber er zündete sie ungeschickt an und blies wie jemand, der nicht rauchen kann. Er hatte sie aus Schüchternheit genommen, und nun blickte er mich an wie ein Untergebener, der eine Auszeichnung erhält.«Sie können nicht fehlgehen», sagte er, fast wie um mir einen Gegendienst zu erweisen. Und er fügte eine scherzhafte Bemerkung hinzu, die er zweifellos von anderen gehört hatte; er schämte sich zwar, sie weiterzuerzählen, aber dann entschloss er sich doch dazu:«Folgen Sie immer dem Gestank nach toten Maultieren.»
    «Ich weiß, danke.»Unter den Maultieren der Heeresverpflegung war eine Seuche ausgebrochen, und jetzt stanken alle Pfade Afrikas nach ihrem Aas, nach den Resten derer, die von den Nachttieren verschlungen worden waren, nach Totenschädeln, die grinsten und in denen es von Würmern wimmelte.
    «Dann also viel Glück, Herr Oberleutnant», und der Arbeiter machte sich im Laufschritt davon. Dieser Glückwunsch versetzte mich plötzlich in schlechte Laune; ich meine, es kam mir übertrieben vor, bei dieser Gelegenheit den Beistand des Glücks anzurufen. Schließlich zog ich ja nicht in die Schlacht und wollte auch nicht die Alpen überqueren. Ich musste nur einer Abkürzung folgen und oben auf dem Rand des Hochlands
ankommen. Ich brauchte nur einen Lastwagen zu finden, und dann würde ich am selben Abend die Seiten eines Buches aufschneiden und in einem Bett liegen, dem ersten Bett nach achtzehn Monaten.
    Und doch, nachdem der Arbeiter mir seinen Glückwunsch hingeworfen hatte, so wie man eine Herausforderung hinwirft, war ich versucht umzukehren. Wie zur Beschwörung berührte ich das Holz eines Baumes, aber in dieser Waldung waren die Pflanzen wie aus Pappkarton, regelrechte Ladenhüter des Universums.«Nur ein gewissenloser Bühnenbildner kann sie in diese abgelegene Gegend gestellt haben», sagte ich. Und mit entschlossenem Schritt bog ich in die Abkürzung ein.

2
    Ich ging vielleicht seit einer Stunde, als ich das Chamäleon sah. Ein braves Tierchen. Es überquerte den Pfad, vorsichtig wie ein Dieb, der auf dem Gesims des auserwählten Hotels entlangschleicht. Ruhig, ehrlich verängstigt durch dieses Afrika voller Tücken, setzte es zierlich ein Füßchen vor das andere. Der Anblick meiner Schuhe konnte es nicht noch verwirrter machen, als es ohnehin war, und noch weitere Zweifel über die
Notwendigkeit vorwärtszulaufen in ihm aufkommen lassen. Nachdem es sie lange und gründlich untersucht hatte, unschlüssig, ob es darübersteigen solle oder nicht, kehrte es mir den Rücken, als vertraue es sich meinem Ehrgefühl an. Ich hätte nicht gewagt, ihm etwas anzutun; ich wollte es nicht von seiner sorgfältigen Nahrungssuche abbringen.
    «Zigarette gefällig?»Ich steckte ihm die angezündete Zigarette ins Maul. Es machte sich rauchend davon, wie ein guter Diplomat, immer erschrockener darüber, am Leben zu sein, und bereit, den Stummel um einer Fliege willen wegzuwerfen, zu allem bereit; doch wie faul war auch dieses Tierchen!
    Ich schaute nach der Uhr, sie zeigte auf zehn. Ich war also seit einer Stunde und zwanzig Minuten unterwegs. Der Pfad war schmal, zuweilen teilte er sich, um sich gleich darauf wieder zu vereinigen: ziemlich bequem, fast allzu bequem, mit den paar kurzen Steigungen und den langen ebenen Strecken. Dies ließ mich denken, ich hätte den Weg verfehlt. Und seit einer halben Stunde traf ich nicht mehr auf Überreste von in der Sonne verwesenden Maultieren. Doch dies war erklärlich, Maultiere sterben ja
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